Herrhausen

von CARL CHRISTIAN JANCKE

Vor 30 Jahren  fiel Dr. Alfred Herrhausen einem feigen Mordanschlag der Roten Armee Fraktion zum Opfer. Eine Lichtschranke löste eine massive Paketbombe aus, die die gepanzerte Limousine zerstörte. Weil die Sicherheitskräfte den Sprengsatz im Auto vermuteten, haben sie ihn nicht aus dem Auto geborgen. Herrhausen verblutete.

Der Schlag, den die Mörder der freien Welt versetzten, ist nicht zu ermessen.. Herrhausens intellektuelle Ausnahmestellung ist allenfalls mit Walter Rathenau zu vergleichen, der als Industrieller die Allgemeinen Elektrizitätswerke  (AEG) führte und 1922 als Reichsaußenminister ebenfalls einem tödlichen Attentat zum Opfer fiel. Auch Rathenau starb in seinem Auto.

Der linke Terrorismus war immer effektiver wie der rechte. Er traf Menschen, die ihre Zeit geprägt haben und auch hätten. Unter den Opfern der RAF sind natürlich Kurt Bekurts zu nennen, der im Siemens-Vorstand für Entwicklung und Forschung zuständig war. Und Detlev Rohwedder, SPD-Staatsekretär im Wirtschaftsministerium unter Brandt und Schmidt, späterer Vorstandschef und Sanierer des Hoesch-Stahlkonzerns und Präsident der Treuhandanstalt.

Nina Grunenberg beschreibt Herrhausen in der ZEIT eindrücklich und nicht unkritisch knapp einen Monat  vor seinem Tod. Ein solches Portrait zu Lebzeiten ist authentischer als so mancher pietätvolle Nachruf. Sie beschreibt ihn als etwas zu kalt und fast schon zu intellektuell für sein Umfeld. Das im Titel verwandte Zitat “Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar” stammt von Ingeborg Bachmann, Es kam ihm ebenso flott über die Lippen wie eins von Rosa Luxemburg. Für den mächtigsten deutschen Banker ein Tabubruch.

Mich selbst hat Herrhausen zu Karl Popper gebracht, dessen Verehrung er mit Helmut Schmidt teilte. Mein Vater war als Geschäftskunde im Beirat der Deutschen Bank Wuppertal, für den Herrhausen zuständig war. Zwei, dreimal durfte ich ihn in den frühen Achtzigern begleiten, wenn Herrhausen sprach. Er verstand es eben, über den Tellerrand der “Deutschland AG” hinaus zu denken, die Bankenwelt in sein intellektuelles Konzept einzuordnen und notwendige Entscheidungen davon abzuleiten. Der Mann sprach in seinem gepflegten Ruhrgebietsidiom frei und ohne schriftliche Notiz und das auch über mehr als eine Stunde. Grunenberg beschreibt, wie ein Grundsatzvortrag über “fehlerhaftes Denken” die Bankerszene erst in Frankfurt und dann in Hamburg im Überseeclub  wohl überforderte;

Nach der Rede ließ ein Tischnachbar, der zum Feiern gekommen war und sich vom Vorstandssprecher der Deutschen Bank etwas Handfestes zur wirtschaftlichen Lage erhofft hatte, alle hanseatische Zurückhaltung fahren und resümierte: “Das war ja hochintelligent, aber völlig unmenschlich.”

“Das wäre schrecklich, wenn es wahr wäre”, fand Herrhausen, als er die Geschichte hörte. Dann fragte er fast mitleidig: “Hat der Mann denn noch nie etwas von Popper gehört?”

Herrhausen hat den auch nicht ganz verstanden, wenn er “fehlerfreies Denken” für möglich hielt, denn Poppers größter Verdienst war die Erkenntnis der Möglichkeit des eigenen Irrtums. Und von dem war auch Herrhausen nicht frei.

Die Deutsche Bank war der mächtigste Teil der Deutschland AG und auch der stand Herrhausen vor. Edzard Reuter war wie er unter den Industriekapitänen eine Ausnahmeerscheinung. Der Sohn des legendären Berliner Bürgermeisters (“Völker der Welt, schaut auf diese Stadt”), im türkischen Exil aufgewachsen und Sozialdemokrat war von Herrhausens Vorgänger bei der Wahl zum Daimler-Chef übergangen.  worden. Herrhausen, die Deutsche Bank besaß fast 30 Prozent des Autokonzerns, setzte Reuter an die Stelle des schwäbischen Ingenieurs Breitschwerdt. So wie Herrhausen aus der Bank einen Allfinanzkonzern machen wollte, schwebte Reuter ein integriertes Technologieunternehmen vor und  er kaufte wild alles von der AEG bis zur Rüstungs- und Flugkonezernen zusammen, was zu haben war. Es entstand ein unbeherrschbares Konglemerat mit unendlichen Hierarchiestufen. Reuters Scheitern hat Herrhausen nicht mehr erlebt.

Auch den Kauf der Londoner Morgan Grenfell und den Einstieg ins Investmentbanking, den Herrhausen entschied, wird man heute kritisch sehen. Ob er die Bank so herunter gewirtschaftet hätte wie seine Nachfolger, darf bezweifelt werden. Aus einem deutschen Solitär ist unter Ackermann und Konsorten ein ziemlich armseliges Bankhaus geworden.

Herrhausens nicht ganz uneigennütziger Vorstoß, den Entwicklungs- und Schwellenländern die Schulden zu erlassen, ist ein großer Teil seines Vermächtnisse und Ausweis seines Charakters, das Bachmann-Motto wörtlich zu nehmen. Der Schuldenstand war für die erdrückend: Zwischen 1980 und 89 waren die Schulden gerade der sich erfolgreich entwickelnden Staaten von 800 Mrd. auf 1,2 Billionen Mark angestiegen, es bestand keine Aussicht auf Rückzahlung. Gleichzeitig hing den Staaten die Schuldenlast wie ein Mühlstein um den Hals. Die Deutsche Bank war allerdings besser vorbereitet als die Konkurrenz und hatte wohl ein erheblichen Teil der notleidenden Kredite abgeschrieben, vielleicht auch Herrhausens Weitsicht zu verdanken, der im Bank-Vorstand das Afrika- und Südamerikageschäft bis zu seiner Berufung zum Sprecher 1985 verantwortete. Nach dem Attentat war von einem befreienden Schuldenerlass nicht mehr die Rede.

Heute ist es unvorstellbar, dass ein weltläufiger deutscher Patriot wie Herrhausen auf die Bühne tritt, um sein einflussreiches Publikum vor fehlerhaften Denken zu warnen. Er hätte alleine sicher nicht das eingetretene Ende der Aufklärung, das Abgleiten des kritischen Rationalismus in die Bedeutungslosigtkeit und ins digitale Mittelalter aufhalten können. Aber er hätte doch schon früh den Gegnern eine Stimme gegeben. Die Terroristen von der RAF haben ihr Ziel erreicht und dem Land und der Gesellschaft einen schweren Schaden zugefügt.