20181024_143249[1]In den Zentralorganen des Liberalismus, der Neuen Zürcher Zeitung und dem Economist wird die Krise des Liberalismus beschworen und das Versagen der liberalen Eliten  konstatiert. Selbst der ehemalige Chef der grünen Heinrich-Böll-Stiftung sorgt sich in der WELT, der Liberalismus  müsse sozialer werden. Freiheit sei die Abwesenheit von Furcht. Immerhin, wer eine Krise hat, ist noch nicht tot. In Berlin trafen sich die Aufrechten zum alljährlichen “Forum Freiheit”.  Statt einem Hashtag, der die frohe Kunde in die Welt trägt, war filmen und fotografieren verboten. Ein Indiz für das erschütterte Selbstbewußtsein der Szene, deren Veranstaltungen neuerdings auch mal von der Antifa gesprengt werden. Zum Inhalt:Natürlich hat es etwas von Selbstversicherung wenn wahre Liberale alljährlich im Restaurant Dressler in der Reinhardt-Straße zusammen kommen und nicht erwähnen, dass das im Hans-Dietrich Genscher-Haus liegt, der FDP-Partizentrale. Es sind doch viele Mitglied der Partei und einige wie  der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler  an prominenter Stelle. Aber die meisten sind der FDP wohl zu liberal. So demonstriert man eben Unabhängigkeit und muss sich von einem Sicherheitsdienst schützen lassen. Daran,  dass einige Menschen wegen ihrer bloßen Meinung nur mit polizeilichem Personenschutz erscheinen können, hat man sich gewöhnen müssen. Die Meinungsfreiheit ist in der Gesellschaft längst abhanden kommen. Hier gilt das nicht. Und deshalb gelten gerne Chatham Rules. Aber solange man hinter geschlossenen Türen tagt, keine Twitter- und Facebook Posts zulässt oder gar befördern will, bleibt man auch unter sich. Die Vision der offenen Gesellschaft kann so nicht verbreitet werden.

Dabei hätten manche Statements durchaus das Potential zu Tweets gehabt, die die Runde gemacht hätten. Thilo Sarrazin bemerkte etwa auf dem Panel, das sich unter Leitung von Prof. Patzelt mit den Folgen der Flüchtlingskrise beschäftigte, “Die Titanic hatte zwei Probleme. Sie hatte Wasser im Rumpf. Das war schlimm.Das zweite: Es floß Wasser nach. Das war noch sclimmer.”

In Kürze stehen die Videomitschnitte der Veranstaltung online. Deshalb lohnt es hier nicht, die drei Panels, die mit allem, was in der Liberalen Szene und auch im konservativen Umfeld Rang und Namen hat, geschmückt waren.

Ich will mich deshalb auf einen Punkt konzentrieren, der symptomatisch ist. Erich Weede hielt ein flammendes Pladoyer für den Freihandel.  Die Grenzen für Waren und Güter sollten offen sein, wer miteinander handelt, schlägt sich nicht die Köpfe ein. Die Freizügigkeit der Menschen dagegen sollte Grenzen haben.

Milton Friedman hat einmal festgestellt, dass er prinzipiell für offene Grenzen plädiert. Mit einem modernen Wohlfahrtsstaat sind die nur inkompatibel. Diese Auffassung  teile ich auch. Und um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin auch dafür die Freizügigkeit in der Europäischen Union davon abhängig zu machen, dass die Menschen sich im anderen Staat selbst ernähren können.

Weedes Plädoyer für den Freihandel greift aber zu kurz. Er mag die Wahrscheinlichkeit der Friedenssicherung erhöhen. Aber vor dem ersten Weltkrieg war der Handel zwischen Deutschland und Frankreich auf vergleichbarem Niveau wie heute. Und das hat den Ausbruch des Krieges nicht verhindert. Die Beziehungen der westlichen Staaten mit China und Südostasien ist aber mittlerweile nicht nur durch Freihandel geprägt, sondern durch wirtschaftliche Abhängigkeiten durch Wertschöpfungsketten. Und die sind vom Trumpschen Protektionismus und vom Brexit und der Euro-Krise bedroht.

Drei Beispiele aus der Automobilwirtschaft:

 

1.

Die aktuellen SUV X5 und X7 werden in München mit einem Milliardenaufwand konstruiert und entwickelt. Die Getriebe kommen von ZF in Friedrichshafen, die Motoren aus dem BMW-Werk in Österreich. Gebaut werden die Autos im größten BMW-Werk in North Carolina, USA und zu einem erheblichen Teil in die ganze Welt exportiert.

Die BMW AG ist nun von dem amerikanisch-chinesischen Handeslkrieg betroffen, weil die X5 und X7 als Autos aus US-Produktion mit chinesischen Strafzöllen belegt wird, was natürlich mittelfristig zu einer Produktionsverlagerung nach China oder Europa führen wird. Hier ist die Wertschöpfungskette in der Hand eines einzigen Unternehmens.

 

2.

Seit geraumer Zeit gehört die britische Firma Jaguar dem indischen Tata-Konzern. Die neueste Generation der Fahrzeuge XF und XJ gingen mit Diesel-Motoren von Peugeot aus Frankreich und Getrieben von ZF aus Friedrichshafen an den Start. Das so gut besprochene Elektroauto, der Jaguar I-Pace ist gar kein britisches Auto. Er wird bei Magna (früher Steyr-Puch) in Österreich produziert.

 

3.

Die gesamte deutsche Automobilindustrie ist mit der in Großbritannien eng verwoben und vom Brexit bedroht, der beiden Ländern schaden kann. Die Marke Mini gehört BMW und produziert in Oxford, Bentley hat mit dem Continental den VW Phaeton zum Erfolg gemacht, der sich nur in China verkaufte. Unter dem Blechkleid des Continental und des Flying Spur steckt eben dieses Auto, wie unter dem Blech der Rolls-Royce-Modelle lupenreine Technik des Siebeners  des Eigentümer BMW. Und die Zwölfzylinder-Motoren der Aston Martin Modellpalette werden in Handarbeit bei Ford in Köln in Handarbeit gefertigt. Der größte britische Autobauer heißt indes Nissan, der seit den siebziger Jahren die Autos für den europäischen Markt baut. Die Modelle des italienischen Herstellers Fiat sind auch nur deshalb so preiswert zu haben, weil sie in der Türkei gebaut werden.

 

Freihandel ist die notwendige, internationale Wertschöpfungsketten sind die hinreichende Bedingung für eine prosperierende Welt in Frieden und wachsendem Wohlstand. Wenn britische Steuerberater Deutschen eine Limited als Alternative zur umständlichen GmbH zum Vorzugspreis anbieten, sitzt der Buchhalter in Indien, was man leicht am Zeitpunkt seiner emails und seinem Akzent erkennen kann. Es gibt Portale, auf denen Mittelständler projektbezogene Arbeit, etwa Softwareentwicklung in Indonesien einkaufen kann. Wer sich eine reale Assistentin leisten kann, macht das mit jemand aus Polen oder Tschechien preiswert. Wer wie ich, einen Fernseher und einen Bildschirm eines koreanischen Herstellers im Wohnzimmer und auf dem Schreibtisch stehen hat, ahnt nicht, dass beide in Wahrheit in der Türkei hergestellt wird.

Weedes Plädoyer greift deshalb zu kurz. Und damit ist er weiter nicht allein. Nicht nur die Liberalen, auch die Konservativen und die Linken bleiben intellektuell im Industriezeitalter verhaftet. Das ist aber für den Liberalismus bedauerlich. Die anderen haben keine passenden Antworten auf das Informationszeitalter. Der Liberalismus schon. Dafür muß er nur die Prinzipien neu deuten und die Begriffe neu definieren. So wie Freihandel eben wichtig ist, weltweite Fertigungsverbünde und Wertschöpfungsketten aber wichtiger.

Die Grundhaltung der Liberalen beim Forum Freiheit war eigentlich pessimistisch. Und es gibt dafür gute Gründe. Heilsam war der vielleicht manchmal grundlose Optimismus des Vorsitzenden der Hayek Stiftung Prof. Gerd Habermann, der fröhlich an das zu glauben scheint, an das ich auch glaube: Die soziale und ökonomische Evolution, die die Menschheit vorwärts bringt.