von CARL CHRISTIAN JANCKE
Der Mythos Merz überhöht die Person. Und einzelne, wie Carlos Gebauer oder Vera Lengsfeld, weisen zu recht darauf hin, dass der Mann nicht nur offensichtlich ein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt ist, sondern auch irgendwie noch Teil des Establishments. Unter den zur Wahl stehenden Kandidaten ist er aber die erste Wahl.
Das politische Personal hat ein Niveau erreicht, das schwer zu untertreffen ist. Das macht besonders der Blick auf die SPD deutlich, bei denen nicht einmal ein Sozialdemokrat weiß, warum er Merkel wählen wolle.
Bei der CDU stehen wohl ungefähr vier Kandidaten für den Vorsitz zur Verfügung, die damit auch gleichzeitig den ersten Zugriff auf das Amt des Bundeskanzlers haben, den sie mit Sicherheit bis zur Europawahl haben werden, weil nur dann der Wechsel an der Spitze sich auch im Ergebnis ausdrückt.
Dass die CDU vier Kandidaten zur Wahl stellen kann, ist also ein Segen, auch wenn die alle nicht veritabel sind.
AKK
Frau Kramp-Karrenbauer ist Merkel in Grün. Oder – wegen ihrer Haarfarbe – in Braun. Der Abwärtstrend würde sich für die Union fortsetzen, sie ist die ideale Kandidatin für die AfD, der sie ein zweistelliges Ergebnis ermöglicht.
Laschet
In den Neunzigern schon Mitglied der “Pizza-Connection”, beseelt von Schwarz-Grün im Bund und deshalb keine Wahl. Ist aber taktisch geschickt genug, sich zurückzuhalten, um ggfs. als Kompromißkandidat zwischen zerstrittenen Flügeln zu kandidieren.
Spahn
Als Gesunhdheitsminister hat er sich als Planwirtschaftler erwiesen, abseits jeder konservativer und marktwirtschaftlicher Rhetorik. Erscheint mir nicht sattelfest
Friedrich Merz
Durch sein Ausscheiden aus der Politik und die Tatsache, dass Merkel ihn sauber abgefertigt hat, ist ein Mythos entstanden, dem der reale Mensch nicht ganz gerecht wird. Wenn man ihn aber mit den anderen Alternativen vergleicht, ist er erste Wahl.
Er ist ein wertkonservativer Marktwirtschaftler. Das hat er mehrfach unter Beweis gestellt. Das qualifiziert ihn. Er polarisiert und würde die CDU zurück auf einen wertkonservativen Kurs bringen und die FDP nötigen, sich wieder durch Liberalismus statt durch “W-LAN für alle” und irgendwelchen Digitalisierungswahn zu profilieren.
Das überwiegt für mich gegenüber der Einwände von Lengsfeld und Gebauer:
- Merz hat einen Preis der Ludwig-Erhard-Stiftung nicht angenommen, weil er nicht mit Roland Tichy auf der Bühne stehen wollte. Dessen Publikation Tichys Einblick sei ihm zu populistisch. Das war kalkulierender Oppurtunismus im Hinblick auf das angestrebte Comeback, das bereits seit einiger Zeit in der Mache war. Damit hätte er sich gegenüber dem linken CDU-Flügel aus seiner Sicht unnötig angreifbar gemacht.
- Carlos Gebauer weist auf einen gemeinsam mit dem Neomarxisten Jürgen Habermas im Handelsblatt veröfftentlichten Aufruf zur Rettung Europas hin. “Die Euro-Zone, Kern und fortgeschrittenster Teil der europäischen Einigung, ist … nicht krisenfest.” Wie Gebauer bin ich der Auffassung, dass das kompletter Humbug ist. Für den Zusammenhalt Europas sind die wirtschaftliche Verflechtung und Facebook wesentlich wichtiger als der Euro, der eine Fehlkonstruktion ist. Der Politikergeneration Merz ist der Glaubenssatz “Mehr Europa wäre besser” angeboren. Darin gleicht er seinem Ziehvater Schäuble.
Merz ist auch nicht mehr als as kleinste Übel mit einigen Vorzügen. Viele, die ihn über den Klee loben, werden von seinem nötigen Opppurtunismus und seinem europäischen Pragmatismus enttäuscht sein.
Trotzdem ist folgendes Szenario mit Merz wahrscheinlich: Die Kanzlerin wird die angestrebte Legislaturperiode nicht durchhalten sondern die Vertrauensfrage stellen. Gleichzeitig mit der Europawahl wird eine neue Bundestagswahl stattfinden. Mit einem Kanzlerkandidaten Merz hat die CDU die Chancen auf ein Ergebnis von 35%+x und die FDP von rund 10%+x, wenn sie sich als liberale Alternative profiliert und nicht als weichgespültes Feinripp-Projekt. Jamaika bliebe uns erspart.
4 comments
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1. November 2018 at 16:09
Paul
Werter Herr Jahnke,
Ihre Überlegungen sind plausibel. Aber: Warten wir’s ab.
Ich denke, dass Merz innerhalb der CDU nicht genügend Zustimmung bekommen wird. Er wird also weder Vorsitzender noch Kanzlerkandidat. Die CDU und die SPD haben eines gemeinsam: sie sind süchtig auf den Niedergang.
Ich wünsche mir Merz nicht nur als Parteivorsitzenden*, sondern auch als Kanzlerkandidaten. Das wäre ein Schreckensszenario für die AfD, so er denn seine Ansichten behält und weiterentwickelt. Das könnte sogar mich wieder veranlassen CDU zu wählen. Das bedeutet schon was, weil ich mit diesem Kapitel eigentlich abgeschlossen hatte.
Herzlich, Paul
*Da ich kein Mitglied der CDU bin interessiert mich der Parteivorsitzende nicht.
1. November 2018 at 17:40
American Viewer
Paul,
ein neoliberaler Merz wäre aus meiner Sicht nicht so schlecht für die AfD. Die AfD hat ihr neoliberales Programm nahezu komplett aufgegeben. Die AfD hat mit Lucke und Co leider nichts bis nicht mehr viel zu tun.
Der AfD werden die äußeren Themen nicht ausgehen, ziemlich egal ob es nun AKK, Merz, Laschet oder Spahn wird. Die AfD hat allerdings gewaltige interne Probleme. Ich denke, das ist aktuell das viel größere Problem der AfD.
1. November 2018 at 17:35
American Viewer
Merz finde ich im Prinzip auch nicht schlecht.
Aber offener Neoliberalismus wird im Westen aktuell nicht mehr gewählt, sehr viele Deutsche hassen Neoliberalismus regelrecht. Jahrzehnte an Medienpropaganda bleiben auch hier nicht ohne Wirkung. Wenn sich Merz öffentlich zum Liberalismus bekennt, würde er früher oder später krachend verlieren, wahrscheinlich auch deshalb schreiben ihn die Medien aktuell so hoch. Merz wäre ein Konjunktur-Programm für Grüne und SPD, und letztendlich auch für die AfD.
Jemand wie Merz wäre ideal für die FDP. Die Ansichten der CDU werden wohl „am besten“ von AKK und Spahn vertreten. Wahltaktisch fährt die CDU wohl mit AKK oder Laschet am besten. Für Deutschland insgesamt wäre wohl Spahn die beste Wahl.
Spahn war übrigens auch ein Neoliberaler. Dass er Reformen im Gesundheitsbereich aktuell nicht umsetzt, liegt wohl auch an den deutschen Machtverhältnissen insgesamt. Spahn ist ein Experte auf diesem Gebiet, er wüsste teilweise durchaus welche Reformen sinnvoll wären, aber er ist auch intelligent genug zu wissen, was er umsetzen kann und was nicht.
Für jede sinnvolle Reform wird man in DL von den Medien gekillt. Wie soll man gegen so eine Stimmungsmache Wahlen gewinnen? Ich sehe da aktuell keinen leichten Ausweg. Das Glück, das Deutschland hatte, war die Reform von Schröder. Die ehemals auch neoliberale Merkel von 2005 hat sich offenbar genau angeguckt, wie Schröder danach abgeschlachtet wurde.
2. November 2018 at 20:45
Werwohlf
Merz ist kein (Neo-)Liberaler, sondern ein Konservativer mit guten Beziehungen in die Top-Etagen der Wirtschaft. Er wird sich m.E. in der CDU mittig zu positionieren versuchen, mit höchstens leichten Akzentverschiebungen und Änderungen am Stil. Ob seine Politikferne inzwischen eher Vorteil oder eher Nachteil ist, ist Ansichtssache. Meines Erachtens ist es parteiintern eher in Vorteil. Merz ist nicht “kontaminiert”, er kommt quasi “von außen”. Das stimmt zwar in dieser Klarheit nicht, aber für die Außendarstellung reicht es.
Mit anderen Worten: Er kann mit der Trump-Botschaft kommen (“gegen die Politruks”), ohne wirklich ein Trump zu sein (weil er eben doch ein Insider ist).