von CARL CHRISTIAN JANCKE

Seit Julian Reichelt die Chefredaktion der Bild Zeitung übernommen hat, wurde sie wieder zur Quelle von politischem Gewicht. Und Bild TV hat die Chance, so etwas wie FOX TV zu werden, ein notwendiges konservatives Korrektiv. Vorher waren zu viele Kommentare arg auf Mainstream-Linie. Und dann kann man auch ARD oder ZDF schauen oder Spiegel Online lesen. Reichelt hat den Laden aufgemischt. “Viel Feind viel Ehr” animiert aber nicht jeden Arbeitgeber zur Erfüllung des Anstellungsvertrages.

Nun soll er über persönliche Verfehlungen gestolpert sein, und Berufliches und Privates vermischt haben. Daraus wurde in der New York Times ein “toxisches Klima” aus Macht, Geld und Sex. Also  den Ingredienzien jeder erfolgreichen Boulevard-Zeitung, deren leitendes männliches Personal meist sein Brusthaar und Goldkettchen zur Schau stellt. 

Der unausgesprochene Vorwurf gegen Reichelt lautet, er habe mit Mitarbeiterinnen geschlafen, sie protegiert und wieder fallen gelassen. Das ist nicht die feine englische Art, passt aber doch irgendwie in das Bild, das wir uns seit Baby Schimmerlos von dieser Mediengattung gemacht haben. 

Der von der Constantin in einer Amazon-Dokumentation des Redaktionsklimas vermittelte Eindruck war ein anderer. Da wurde sachlich diskutiert und abgewogen, allerdings konnte der Chef auch deutlich werden, wenn die Leistung seiner Mitarbeiter nicht stimmte. Mit Wattebäuschchen hat er dabei nicht geworfen. 

Nun muss man wissen, dass die Constantin eine Menge TV-Produktionen an BILD verkauft hat und das natürlich einen Einfluß auf die Kameraführung haben könnte. Dann war es gut gemacht. 

So ist das eben. Nicht ganz die feine Art, aber eigentlich nicht schlimm genug, um gefeuert zu werden. Den Ausschlag gab denn auch wohl die Tatsache, dass er nach der gelben Karte im Frühjahr (eine Compliance-Untersuchung) sein Verhalten nicht änderte und das gegenüber dem Vorstand verschwieg. Wenn dem so war, war das nicht so schlau. Auf der anderen Seite ist auch sein Vorvorgänger wegen vermeintlicher sexueller Übergriffigkeit aus dem Amt geschieden, von der man im Nachhinein nichts mehr gehört hat. Das war schon merkwürdig und ich bin kein Freund von Kai Dieckmanns Kurs. Gläserne Aufzüge haben für Führungskräfte heute durchaus ihren Vorteil, man bleibt nicht unbeobachtet. 

In seiner Position kannte Reichelt weder Freund noch Feind sondern nur lohnende Ziele. Das hat er wohl als Kriegsberichterstatter gelernt. Diese Unabhängigkeit ist manchem Haltungs-Journalisten ein Dorn im Auge. Die kennen nur Freund und Feind und verzerren so die Realität. 

Die Berichterstattung im Fall Reichelt bleibt seltsam vage. Springer begründet das in seiner Pressemitteilung:

“5. Im Kontext jüngster Medienrecherchen sind dem Unternehmen seit einigen Tagen neue Anhaltspunkte für aktuelles Fehlverhalten von Julian Reichelt zur Kenntnis gelangt. Der Vorstand hat erfahren, dass Julian Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches nicht klar trennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat. Deshalb hält der Vorstand jetzt eine Beendigung der Tätigkeit für unvermeidbar.

6. Gleichzeitig leitet das Unternehmen rechtliche Schritte gegen Dritte ein, die versucht haben, die Compliance-Untersuchung vom Frühjahr mit rechtswidrigen Mitteln zu beeinflussen und zu instrumentalisieren, offenbar mit dem Ziel, Julian Reichelt aus dem Amt zu entfernen und BILD sowie Axel Springer zu schädigen. Dabei geht es insbesondere um die verbotene Verwendung und Nutzung vertraulicher Protokolle aus der Befragung von Zeugen sowie die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und privater Kommunikation.”

Matthias Döpfner wurde mittlerweile auch zur Zielscheibe und der Spiegel hatte für eine Titelgeschichte so wenig auf der Pfanne, dass die Scheidung Axel Springers von einer Frau jüdischer Herkunft 1938 (!) herhalten musste und eine illustre Anekdote über den neuen Bild-Chef Johannes Boie, der einst als Jungredakteur auf dem Chefparkplatz der Süddeutschen Zeitung parkieren wollte. Wenn das alles ist, ist nichts dran an dem Medienhype. Und der Eindruck verschärft sich bei der Besichtigung des restlichen Medienechos.

Brigitte Baetz vehaspelte sich im Deutschlandfunk über Einfluß und Reichweite bedauernd:

“Das ist auch ein Meinungsmacher in der Republik, das muss man leider sagen”. “Die Bild Zeitung ist eine Zeitung, die versucht, Menschen hoch und runter zu schreiben. Letztes Beispiel war Friedrich Merz zum Beispiel. Da hat das nicht geklappt”… Zu Johannes Boie weiss sie zu berichten, dass er schon seinen Wikipedia Eintrag geändert hat. Es sei zu erwarten, so Baetz, “dass es jetzt ein bisschen weniger krawalliger zugeht als unter Reichelt, der so ein Art Quartalsirrer des deutschen Journalismus war”…. “Das hatte ja auch sowas spätpubertäres, so dass man geneigt war, ihn als Person vielleicht nicht ganz so ernst zu nehmen aber man musste natürlich sein Produkt ernst nehmen. “Johannes Boie ist ja einer, der nicht komplett bei der Bild-Zeitung sozialisiert wurde als Journalist, sondern der auch bei der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel gearbeitet hat und ich könnte mir denken oder erhoffe mir zumindest, dass es jetzt ein bisschen ruhiger an der Bild-Zeitungs-Front und weniger populistisch zugeht wie das bei der Kampagne gegen Christian Drosten oder überhaupt der Corona-Politik der Kanzlerin gemerkt hatten die letzten Monate”.

Da ist aber jemand erleichtert, dass der quartalsirrre Krawallbruder weg ist. Das sind ausgewogene Informationen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Anders gesagt: Reichelt war wohl eine Gefahr für das öffentlich-rechtliche Meinungsmonopol. 

Stefan Winterbauer macht bei Meedia große Worte. Der Fall Reichelt sei ein Fall Axel Springer “Was Mathias Döpfner hätte tun sollen.” Döpfner, der mit diesen Vorwürfen keinen Arbeitsgerichtsprozess gegen Reichelt gewonnen hätte, landet denn auch als Spießgeselle auf dem Spiegel-Titel. Das adelt. Winterbauer:  

Die Aufregung rund um den geschassten „Bild“-Chef Julian Reichelt ist groß. Darüber darf man nicht vergessen, welch unrühmliche Rolle das Unternehmen Axel Springer und sein CEO und Gesellschafter Mathias Döpfner in der ganzen Geschichte spielen. Die Kommunikation des Hauses zur Causa Reichelt ist ein Schlag ins Gesicht für Betroffene und offenbart ein verstörendes Verhältnis zum aufklärerischen Journalismus. Ein Kommentar.”…

“Kein Wort von Döpfner, dass Reichelt offensichtlich ein toxisches Redaktionsklima verantwortet hat, so dass zumindest eine Mitarbeiterin, wie beim „Spiegel“ zu lesen war, sich in therapeutische Behandlung begeben musste. Es kommt aber noch schlimmer. In der Mitteilung gibt es „ergänzende Informationen“. Dort wird beklagt, dass die Frauen, die in der Untersuchung zu den Vorwürfen gegen Reichelt ausgesagt haben, anonym bleiben wollten. Da habe sich der Julian Reichelt dann nicht richtig gegen die Vorwürfe wehren können….

Wer könnte das den betroffenen Frauen verdenken? In der Atmosphäre und bei den offenkundig herrschenden Machtverhältnissen in der „Bild“-Redaktion sowie bei der öffentlich bekundeten Nibelungentreue des CEOs zu Reichelt, wäre jede Frau, die nicht auf Anonymität bestanden hätte, geradezu wahnsinnig gewesen. Dass Springer die Protokolle nicht einsehen konnte, aber andere Medien, kann man dort offenbar nur schwer verdauen. Der Konzern droht daher recht unverhohlen, gegen jene Personen vorzugehen, die Infos weitergegeben haben:

Datenschutz, Fernmeldegeheimnis, Persönlichkeitsschutz, das sind alles Petitessen wenn es um das Trockenlegen des Springerschen Sündenpfuhls geht. Gegenüber Reichelt erscheint Harvey Weinstein so als keuscher Waisenknabe.

Ich finde, dass selbstbewusste, junge Frauen, die ihr Aussehen und ihren Sex-Appeal zu nutzen wissen, nicht plötzlich zu Opfern toxischer Mannlichkeit degradiert werden dürfen, nur weil es der Instumentalisierung der Macht alter weißer Männer dient. Denn die Damen können ja durchaus auch ihren Spass dabei gehabt haben und die berufliche Beförderung durchaus billigend in Kauf genommen haben. Das legt zumindest ein Facebook-Statement einer früheren Bild-Mitarbeiterin über den Fanclub nahe:”

Die ihn, der damals noch Reporter war, wie Teenager anhimmelten, öffentlich von ihm schwärmten und vor seinem Büro herumschlichen in der Hoffnung, er würde ihnen ein Entrée gewähren. Es sah zumindest von außen nicht so aus, als habe er all diesen Frauen penetrant Avancen gemacht…

Die Meinungsstärke des Kommentators relativiert sich ein wenig, wenn man weiß, dass Meedia zur Holtzbrinck-Gruppe gehört. Gabor Steingart, der mit Springers Unterstützung die “Pioneer”-Gruppe aufbaut und mit seinem “Morning Briefing”, das einst beim Handelsblatt gebrandet war, Erfolge feiert, fiel einst beim Verleger Dieter von Holtzbrinck in Ungnade. Der hatte Steingart am Unternehmen beteiligt. Der Rauswurf dürfte einen ordentlichen Millionenbetrag, bei dem eine Stelle vor dem Komma nicht reichen dürfte, gekostet haben. Das schmerzt auch abseits des persönlichen Zerwürfnisses. 

Dem Verleger Dirk Ippen erschien die Geschichte wohl zu dünn, um Springer zu düpieren. Stilsicher witterte er das Geschmäckle.  Nicht jede Unappetitlichkeit reicht für eine Enthüllung. Und nirgendwo ist bisher behauptet worden, die sexuellen Beziehungen wären nicht einvernehmlich gewesen. Eine Mitarbeiterin, so berichtet Meedia, habe sich in Therapie begeben müssen. Von einer Kündigungswelle der Mitarbeiterinnen war nicht die Rede. Niemand musste sich mit Reichelt einlassen,  auch wenn vielleicht Vorteile winkten. 

Dass die New York Times die Geschichte überhaupt machte, ist  an sich ein seltsamer Vorgang. Dass sich ein Medienhaus mit dem Betriebsklima eines anderen beschäftigt, kommt nicht so oft vor. Allerdings profiliert sich Springer in den USA als Wettbewerber. Man hat die US-Titel Politico und Business Insider gekauft. Da geht es plötzlich um Erbhöfe. Und während die NYT traditionell als linksliberales Ostküstenmedium gilt. hat Springer seit je den konservativen Ruf weg und taugt als natürlicher Feind..

Und vor einiger Zeit hat die WELT Bari Weiss als Kolumnistin gewonnen. Die hatte tatsächlich gekündigt. Aber nicht bei Bild sondern bei der New York Times wegen des unerträglichen und intoleranten Meinungsklimas. Das war toxisch. So erscheint der NYT-Bericht eher als ein Revanche-Foul.

Die NYT hat Reichelt den entscheidenden Stoß versetzt. Das liegt daran, dass der amerikanische Investor KKR 40 Prozent an Axel Springer hält. Und dort hat man ein eher puritanisches Verhältnis zu solchen Unappetitlichkeiten. Denn viel mehr ist das, was enthüllt wurde, nicht. Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gehen anders. Allerdings hätte Reichelt auch die Füße stillhalten können. Nach der gelben Karte gibt es nunmal gelb-rot.  Ob eine oder beide Karten gerechtfertigt waren, spielt dabei keine Rolle. 

Am Montag Abend in der auf dem Bild-Fernsehsender laufenden Sendung “Viertel nach Acht” verabschiedete sich der Vize Paul Ronzheimer loyal von Reichelt. Auch Nina Schenk, die in das Klischee des Reichelt-Opfers passen könnte, fand nur lobende Worte. Und der frühere Pressesprecher Gerhard Schröders und ehemalige Bild-Politik-Mann Bela Anda konnte nichts Schlechtes sagen. Sollte uns zu denken geben. Reichelt wird schon woanders wieder auftauchen. Die politische Intension, Bild zu diskreditieren, scheitert.