Alljährlich veröffentlicht das DIW eine Studie zur Einkommensverteilung in Deutschland. Das macht wenig Arbeit und bringt viel PR. Falsch ist sie trotzdem. Und ihre Interpretation auch. Denn wenn das mittlere Einkommen steigt, weil immer mehr Menschen relativ viel mehr verdienen, sind automatisch mehr Menschen relativ arm. Aber da kann man ja keine Zahlen draus machen. Tatsächlich sind die Einkommen in Deutschland seit Jahrzehnten relativ gleichverteilt und das Risiko für die Mittelschicht, “reich” zu werden, ist weitaus größer als zu verarmen. Aber das wäre ja keine Schlagzeile.
Das beweist der Gini-Koeffizient, der die Regelmässigkeit der Einkommensverteilung mißt. Liegt er bei einem Wert von 1, herrscht extreme Ungleichverteilung, bei 0 herrscht das Ideal unserer sozialistischen Freunde: Jeder hat das Gleiche. Und so sieht das in der Grafik nach Prof. Schröder (FU Berlin) im langjährigen Mittel aus:
1987 war die Ungleichverteilung mit 0.27 genauso hoch wie 1991 oder 2005. Dazwischen schwankte sie auch darunter. Betrachtet man die Entwicklung in Ostdeutschland ist klar, dass die Angleichung des ostdeutschen an den Westdeutschen Koeffizienten im wesentlichen Grund dafür ist, dass der Gesamtindex in dieser Zeit gestiegen ist.
Dass die Mittelschicht nicht in Armutsquartiere umziehen muss, wird deutlich, wenn man die OECD – Statistik anschaut. Da war auch der Wert von 2005 noch unter dem Schnitt von 30.6 und vielleicht erreichen wir den Wert von damals gerade mal heute.
Neben den Ossis ist aber ein zweites Phänomen dafür entscheidend: Wenn mehr Menschen mehr Wohlstand erreichen, verschiebt sich das mittlere Einkommen nach oben. Dabei handelt es sich nicht um das Durchschnittseinkommen, sondern um das Einkommen, bei dem genau die Hälfte der Deutsche mehr und die andere weniger verdienen sollen. Steigt das mittlere Einkommen, weil 4 % der Mittelschicht jetzt soviel wie die Reichen, also 150% des mittleren Einkommens verdienen, so steigt auch die Prekariatsschwelle automatisch: Die macht nämlich 70% des mittleren Einkommens aus.
Ohne weniger zu verdienen, falle ich also aus der Mittelschicht heraus, obwohl ich weder arbeitslos geworden noch weniger verdient habe. Selbst wenn ich eine Lohnerhöhung bekommen habe, werde ich so plötzlich arm. Die Bezeichnung des Statistischen Bundesamts für diese Gruppe ist übrigens bezeichnend: “Prekärer Wohlstand”.
Dabei beruht die Studie auf einer ausgesprochen windigen Methodik. Das DIW befragt 1000 Einwohner nach ihrem Einkommen. Sozio-ökonomisches Panel heisst das: Würden Sie am Telefon ihren Verdienst bekannt geben?
Aber die SPON und andere werfen die Empörungsmaschine an und zeigen gerne ehemalige Mittelständler, die sich an brennenden Öltonnen die Hände wärmen. Das Fernsehen der DDR hätte es nicht besser machen können.
6 comments
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15. June 2010 at 21:06
TimoH.
Danke für die erhellenden Ausführungen. Habe gerade im Spiegel unter folgendem Link “Augenzeugenberichte” der verarmenden Mittelschicht gelesen
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,699777,00.html
und mir die Augen gerieben, was diese Leute für Einkommen haben. Da scheint es eine mächtige psychologische Komponente zu geben, die kollektiv geschürt wird.
15. June 2010 at 21:54
lalibertine
@TimoH: Danke für den Link.
Da kamen mir fast die Tränen. Schon bitter, wenn man sein Leben unter solch unmenschlichen Bedingungen fristen muss.
15. June 2010 at 22:05
Adrian
Auch schön ist ja das junge Paar, das zusammen 3900 Euro netto verdient, sich damit keine Kinder leisten kann, und dem es im Studium nicht vergönnt war, mal eben ein Ferienhaus auf Mallorca zu mieten. Tragisch.
15. June 2010 at 23:26
christianhannover
nicht alle plappern den mist nach:
http://www.welt.de/wirtschaft/article8063513/Die-Maer-vom-massenhaften-Absturz-der-Mittelschicht.html
16. June 2010 at 06:50
TimoH.
Ja, ich raff jetzt mal mein Louis Vuitton Täschchen und werfe mich in Gucci ) und werde auf der Straße dafür singen, dass der Steffen sich einen LCD Fernseher kaufen kann und das junge Paar vielleicht noch ‘ne Woche länger auf Mallorca verbringen darf.
Was soll´s, ich kann auch mal nen Tag auf Champagner verzichten und der Golfclub, na ja, der muss halt mal ohne mich auskommen.
Besonders rührig fand ich auch, dass der arme Steffen sich nur éinen LandRover leisten kann. Nicht, dass ich was gegen Land Rover hätte… ich schwing mich gleich auf eine Gazelle und begebe mich in meine Lohnknechtschaft…
24. June 2010 at 14:05
Reservistenkameradschaft Kempen » Armutsfalle
[…] https://fdogblog.wordpress.com/2010/06/15/und-jahrlich-grusst-das-diw-die-armen-werden-immer-reicher/… By: pmueller On: Juni 24, 2010 In: Kommentare Noch keine Kommentare. RSS-Feed für Kommentare zu diesem Artikel. TrackBack URI Einen Kommentar hinterlassen Name (erforderlich) Mail (will not be published) (erforderlich) Website […]