Die FDP hat die Bezeichnung Liberal aufgegeben. Sie nennt sich nun ein “Freie Demokraten”. Eine interessante historische Parallele und ein Widerspruch in sich.
In den Siebziger und Achtziger Jahren hieß die Jugendorganisation der FDP “Junge Demokraten”. Das war für den Schwerpunkt, den die Partei mehrheitlich in der sozialliberalen Koalition seit 1969 machte, auch richtig. Denn es ging schon diesen Sozialdemokraten nicht etwa um die Emanzipation des Arbeiters sondern um den massiven Ausbau des Sozialstaates oder anders gesagt den Zugewinn an demokratisch legitimierter Macht.
Jene Jugendorganisation sprach sich gegen den Wechsel zur Christlich-Liberalen Koalition aus und erhielt Konkurrenz aus dem eigenen Hause. Die jungen Liberalen, genannt Julis. Und einer der ersten Vorsitzenden dieser Jung-Genscheristen hieß, man ahnt es schon, Guido Westerwelle.
Wenn die FDP sich jetzt also nicht mehr liberal nennt, sondern als freie Demokraten bezeichnet, ist das nicht nur ein Etikettenschwindel, sondern auch ein Paradigmenwechsel. Weniger Freiheit, mehr Demokratie.
Die Demokratie ist aber nichts anderes als die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Die Freiheit wird nur durch die negativen Regeln eines freiheitlichen Rechtsstaates geschützt. Negativ meint, dass sie ausschließlich Verbots- und keinen Gebotscharakter haben.
Die Qualität des demokratischen Legitimationsprozesses liegt vermutlich in der körperlichen Unversehrtheit der Beteiligten. Hier werden Köpfe gezählt und nicht eingeschlagen. Und es siegt die Mehrheit und nicht die Macht des Stärkeren.
Trotzdem schränkt die Demokratie stets die Rechte und die Freiheit der Minderheit ein. Nur klare Verbote helfen dagegen. Demokratie und Rechtsstaat bedingen sich also nicht, sie sind ein Widerspruch.
Anders verhält es sich mit der Marktwirtschaft. Auch die braucht einen freiheitlichen Rechtsstaat, damit jeder Bürger, jeder Unternehmer und jeder Kunde die Chance hat, über sich, seine Arbeitskraft und sein Eigentum zu verfügen.
Das ist in der Bundesrepublik Deutschland heute wohl kaum der Fall.
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16 comments
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29. January 2015 at 16:01
Jaquento
Nach dem der Begriff Liberal von den Linken und Rechten erfolgreich negativ umgedeuted wurde ist es wohl besser so.
30. January 2015 at 07:04
Enrico
Sollte man tatsächlich den Linken und Rechten (wer auch immer das sein soll) die Deutungshoheit über diesen Begriff überlassen?
30. January 2015 at 17:42
Jaquento
Es ist schon passiert. Wenn ich mich jedes mal dafür entschuldigen muss wenn ich sage “Ich bin liberal” (jaja, hier glaubt mir das eh keiner), dann sollte man überlgen ob man sich nicht lieber nen neuen Begriff sucht und den dann positiv besetzt. Hat für die LGBT community ja auch funktioniert.
18. February 2015 at 13:50
Enrico
Wenn Du ohne Widerstand den Begriff “liberal” aufgibst und einen anderen suchst, dann kann dieser andere Begriff später genauso umgedeutet werden und Du beginnst wieder von vorn. Ich muss bei solchen Aussagen immer an Pazifisten denken. Ein Gewalttäter würde genügen, um alle Pazifisten der Welt in Schach zu halten weil sie sich nicht wehren.
Wenn Du meinst, Dich für Deine Überzeugungen entschuldigen zu müssen, dann ist das Dein persönliches Problem.
Kannst Du bitte ein Beispiel nennen, bei dem es für die LGBT funktioniert hat. Meiner Erinnerung nach war es eher umgekehrt. Z.B. wurde in den 70er und 80er Jahren wurde das Wort “schwul” nicht verschämt gemieden, weil es in der Öffentlichkeit negativ besetzt war. Statt dessen wurde es verstärkt verwendet. Es wurde also genau das Gegenteil von dem getan, was du vorschlägst.
30. January 2015 at 02:36
Werwohlf
„Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen. Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat? Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl? Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt, um Brot und Stiefel seine Stimm’ verkaufen. Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Der Staat muß untergehn, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“
31. January 2015 at 11:14
max
Tja, nobody’s perfect. Es ist etwas wohlfeil von Diktatur der Mehrheit zu sprechen. Natürlich ist das bis zu einem gewissen Mass so. Nur: haben Sie eine bessere Idee?
Die von Ihnen erwähnten Verbote: ja wie kommen die denn zustande? Werden die den Menschen mittels Steintafeln auf dem Sinai direkt von Gott zugestellt? Oder von gesalbten Weisen erdacht, denen jedes Eigeninteresse von Natur aus abhold ist?
Es ist doch genau diese Frage, um die es sich dreht. WER setzt diese Verbote. Und da wären wir, mangels Alternativen (zumindest bis jetzt bekannter), wieder bei der Mehrheitsentscheidung.
1. February 2015 at 12:32
Werwohlf
Muss man die immer haben?
Man muss ja nicht die vollständige Abschaffung von Mehrheitsentscheidungen fordern, um die Schwachstellen dieses Prinzips offenzulegen. Schon die Forderung nach einer Reduzierung von Mehrheitsentscheiden auf ein notwendiges Minimum und ihre Entschärfung durch Wettbewerb und die Ermöglichung von Sezession wären denkbar.
2. February 2015 at 11:39
max
Was ist denn das notwendige Minimum ? Und wer bestimmt das ?
Notwendiges Minimum ist genau so eine Nullaussage (in Wahrheit aber ein politischer Kampfbegriff) wie soziale Gerechtigkeit et altera.
Abgesehen davon wäre es zwar gut, eine bessere Lösung in petto zu haben, muss man aber nicht immer. Etwas mehr Substanz in der Kritik wäre aber auf jeden Fall gut.
5. February 2015 at 23:47
Werwohlf
Eine der wenigen Mehrheitsentscheidungen?
Sagen wir mal: Es ist ein subjektiver Begriff. Deswegen ja auch “ein” und nicht “das”. Wie genau das aussieht, davon wird es verschiedene Vorstellungen geben. Für die man als Liberaler ja werben kann, ohne Mehrheitsentscheidungen gleich ganz aufzugeben.
Und wer entscheidet, wann das Kriterium “mehr Substanz” erfüllt ist 😉 ?
6. February 2015 at 11:34
max
Lieber Werwohlf, wenn Sie Mehrheitsentscheidungen für gewisse Themen ablehnen ist die konsequente Umsetzung die Diktatur eines Einzelnen. Sollten Sie das ablehnen, sind wir wieder bei einer Mehrheitsentscheidung, es ist einfach das Gremium ein anderes. Und da fehlt mir der Glaube an erleuchtete Personen, die so gar keine eigenen Interessen haben.
Abgesehen davon, dass es praktisch unmöglich ist, eine Liste von Themen zu erstellen, die von Mehrheitsentscheiden ausgenommen sind, denn, was “notwendig” ist, sieht wohl jeder etwas anders. Zumindest in einer wirklichen Demokratie.
Für was Sie als Liberaler werben wollen, müssten Sie schon noch etwas konkreter darstellen. Dass es da verschiedene Vorstellungen gibt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche, wenn Sie Ihre äussern würden, wäre das aber zumindest eine Diskussionsgrundlage.
Zu Ihrer letzten Frage, wer entscheidet, wann das Kriterium “mehr Substanz” erfüllt ist? Ich. In diesem Bereich sind Mehrheitsentscheidungen nicht notwendig…
9. February 2015 at 21:17
Werwohlf
Kaum. Denn:
Nicht nur das. Sie sind sogar Unfug, weil es sich hier um ein persönliches Urteil handelt, in das einem andere nicht reinzuquatschen haben. Es freut mich, dass wir das ähnlich sehen. Und damit hätten wir ja einen Anfang gemacht…
Ach, hatte ich das bestritten? War mir entgangen. Ich zitiere mich ja gerne selbst, aber dass man per Mehrheit entscheiden kann, viele Bereiche der Mehrheitsentscheidung grundsätzlich zu entziehen und der persönlichen Freiheit zu überlassen, deutete ich weiter oben bereits an. Üblicherweise macht man sowas in Verfassungen und ähnlichen grundsätzlichen Regelungen.
Du unterliegst übrigens einem Irrtum: Ich bin kein Liberaler.
10. February 2015 at 07:47
max
Lieber Werwohlf, beginnen wir mit Ihrem Schluss: Sie sind kein Liberaler. Gut. Wieso Sie denn als Liberaler für “verschiedene Vorstellungen” (siehe Ihr dritter Kommentar) werben wollen, mag Ihr kleines Geheimnis bleiben.
Vielleicht war der Witz betreffend Entscheid über Substanz kein besonders guter. Einem wachen Geist wäre allerdings zuzumuten, dies als Witz, wenn auch vielleicht schlechter, wahrzunehmen. Und ihn dann nicht in die eigene Argumentation einzubauen. Denn so geht der Schuss ziemlich hinten raus.
Wenn Sie Mehrheitsentscheidungen konsequent ablehnen, ist der logische Schluss die Diktatur eines Einzelnen. Darüber zu diskutieren ist schlicht nicht möglich.
Wenn Sie Mehrheitsentscheidungen nur in “einem” (das ist Ihnen ja wichtig) notwendigen Minimum zulassen wollen, müssen Sie eine Grenze ziehen. Und die wird in einer wirklichen Demokratie niemals nahe Ihres notwendigen Minimums sein. Untertanen lassen sich entmündigen, Bürger nicht. Deshalb ist Ihr Vorschlag, durch Mehrheitsentscheid Bürger sich politisch selbst zu kastrieren, schlicht weltfremd. Nur schon deshalb, weil Sie dies (mit Ihrem Ziel, Mehrheitsentscheidungen zu begrenzen) eben nicht mehr im Ungefähren einer Verfassung belassen können, sondern dann schon konkreter werden müssen. Sonst haben Sie bei jedem anstehenden Entscheid die Diskussion, ob dies nun der Verfassung entspricht, oder nicht.
10. February 2015 at 22:35
Werwohlf
Aber, werter Max, doch nur für die, denen der Unterschied von “ich” und “man” nicht geläufig ist.
Da ärgert sich aber einer, dass ich seinen müden Witz gleich in meine Argumentation eingebaut habe – ebenfalls mit einem Augenzwinkern, aber das kann man vor lauter Eifer, einen Punkt machen zu wollen, vielleicht übersehen. Die Transferleistung, daraus auf die vielen Fälle zu schließen, in denen jeder selbst für sich entscheiden sollte statt sich von anderen dabei hineinreden zu lassen, hatte ich dir zwar zugetraut, aber das ist in Anbetracht deines folgenden Satzes wohl ein Fehler gewesen.
Menschen, die eigenverantwortlich oder in freier Kooperation über ihre Angelegenheiten entscheiden, kommen in deiner Welt anscheinend nicht vor. Die besteht wohl ausschließlich aus öffentlichen Gütern. Und dann hast du Recht: Dann ist eine weitere Diskussion nicht möglich.
Das würde mich jetzt aber hart treffen, wenn ich das vorausgesetzt hätte.
Na, zum Glück haben die Verfasser des Grundgesetzes das damals nicht gewusst. Oder zum Glück wurde darüber nie abgestimmt, denn die Menschen wollen ja anscheinend wirklich alles per Mehrheitsentscheid regeln und sich dabei nicht durch lästige Hindernisse wie Grund- und Freiheitsrechte einschränken lassen. Und dass man über Regeln diskutiert, ist wohl der GAU schlechthin. Gerichte sind mithin der Ausdruck eines Versagens, denn wie gesagt – mit der Herrschaft der Mehrheit sind die überflüssig. Wer hat hier gerade was von “weltfremd” gesagt?
11. February 2015 at 15:35
max
Aehem, jetzt wird es langsam etwas mühsam. Natürlich wollten Sie nur mal mitteilen, was sich ein Liberaler so alles vorstellen kann. Danke dafür. Vielleicht kann er sich auch vorstellen, einen Bauernschrank zu bemalen, wer weiss. Sie werden es mir ja sicher rechtzeitig mitteilen. Sozusagen News aus der Welt der Liberalen.
Zweiter Punkt: Es ist selbstverständlich so, dass Mehrheitsentscheidungen nicht Punkte betreffen, die einzelne für sich selber entscheiden können. Dass dies offensichtlich nicht für ganz alle klar ist, war mir nicht bewusst, ich hab da wohl jemanden etwas überschätzt. Jetzt ging es in der Diskussion allerdings um den Staat, und auf welche Art und Weise Dinge in dem Bereich entschieden werden sollten. Das setzt also voraus, dass es um Entscheide geht, die alle betreffen.
Uebrigens, auch Menschen in freier Kooperation müssen Entscheide treffen, soweit es eben diese Kooperation betrifft. Wie machen die denn das?
Was Sie hart trifft und was nicht, weiss ich ehrlich gesagt nicht, ich kenn Sie ja nicht. Es ist allerdings so, dass die Menge der Entscheidungen, die jemand als ein “notwendiges Minimum” bezeichnet, im allgemeinen Sprachgebrauch eine kleine ist. Sonst ist sie eine schlichte Nullaussage.
Die Verfasser des GG hatten eine üble Erfahrung unmittelbar hinter sich. Sie trauten dem Volk nicht, das zu grossen Teilen extremistische Parteien gewählt hatte. Aus dem resultierte der Tenor des GG.
Gerade das deutsche Grundgesetz als beispielhafte Grundlage einer wirklichen Demokratie zu verwenden, schlägt also fehl.
Freiheits- und Grundrechte sind so lange etwas wert, wie sie die Mehrheit gewillt ist zu akzeptieren. Und nicht, weil ein kleines Gremium sie zu Papier gebracht hat. In der Schweiz ist die Abschaffung dieser Grundrechte im Prinzip eine bzw. zwei Volksinitiativen entfernt. War sie schon seit 1874. Und im Gegensatz zu Deutschland, wurden diese Grundrechte seither von niemandem in Frage gestellt.
11. February 2015 at 22:34
Werwohlf
In der Tat wird es jetzt mühsam. Wenn jemand wie Du der Herrschaft der Mehrheitsentscheidungen in allen Lebenslagen das Wort redet, sie sogar auf Freiheits- und Grundrechte ausgedehnt sehen will, dann kann derselbe kaum behaupten, es müsse “für alle ganz klar” sein, dass Dinge, die jeder Einzelne für sich selber entscheiden kann, natürlich ausgenommen seien.
Selbstverständlich ging und geht es in der Diskussion nicht nur darum, wie die Bereitstellung öffentlicher Güter geregelt wird – dazu braucht man nur den Blogeintrag nochmal zu lesen, unter dem sie stattfindet und auf den sie sich bezieht, und auch deine Argumentation selbst belegt das. Es geht vor allem und im Wesentlichen darum, welche Dinge überhaupt staatlicherseits von Fall zu Fall (statt einmalig regelgebunden) zu entscheiden sein sollen und ob man für die staatliche Regelung eintreten soll, wenn sie Mehrheitsentscheidungen zulässt (statt für nicht-staatliche auf Vereinbarungsbasis und Eröffnung von “Exit”-Alternativen).
Und da das nicht der einzige Punkt ist, mit dem Du versuchst, die Diskussion zu manipulieren – sei es, dass du versuchst, das Thema so vorzugeben, dass es dir in Kram passt, sei es, dass du Aussagen von mir ignorierst und durch dir genehme ersetzt, sei es, dass du trotz Widerspruchs hartnäckig versuchst, mich ins liberale Lager zu drängen (zu blöd, wenn man da einen Strohmann ganz umsonst bereit hält, ich weiß) – dürften sich die Gelegenheiten zu zusätzlicher Erkenntnis in Grenzen halten. Die “Bauernschränke” sind ein deutliches Zeichen, eine Diskussion besser zu beenden, bevor die Einlassungen gar zu wirr werden.
13. February 2015 at 17:03
max
Ich will Sie ganz sicher nicht ins liberale Lager drängen. Wieso sollte ich das auch. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass Ihre Formulierung diesen Schluss geradezu aufdrängt. Jetzt verstanden, lieber Werwohlf ?
A propos Strohmann: Ich rede der “Herrschaft der Mehrheitsentscheidungen in jeder Lebenslage” das Wort? Wo denn das, lieber Werwohlf ? Der Hinweis auf die Schweiz ist übrigens eine simple Feststellung der Tatsachen und hat mit meinen Präferenzen nichts zu tun.
Ach ja: Wenn es in diesem Artikel “selbstverständlich” darum ginge, wo sich der Staat einzumischen hat und wo nicht, wäre die explizit gestellte Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Mehrheitsentscheidungen obsolet. Für das betroffene Individuum spielte es nämlich keine Rolle, mittels welcher Entscheidungsfindung der Staat seine Grenzen überschreitet, sondern lediglich, ob er es tut oder ob er es nicht tut.
Es geht also selbstverständlich lediglich um die Frage, wie im Bereich des Staates entschieden werden soll. Und da fehlen Ihre Argumente bis jetzt leider völlig. Aber vielleicht haben Sie mit den wirren Einlassungen auch nicht die meinigen gemeint. Man weiss es nicht.