Vorab: ich bin überzeugter Transatlantiker. Bei aller möglichen Kritik an den USA prägt mich die Erfahrung, dass Amerika im kalten Krieg sein Schicksal mit unserer Freiheit verbunden hat und Ronald Reagan den Staat fast ruinierte, um die Sowjetunion niederzurüsten. Die Briten und Franzosen waren mit uns in einer Schicksalsgemeinschaft. Die Amis hätten sich damals einen schlanken Fuß machen können. Ihre nukleare Abschreckungsmacht hätte es ihnen jederzeit ermöglicht, uns friedensbewegte Westdeutschen fallen zu lassen. Aber was hat das mit Snowden und Putin zu tun?

Einiges. Denn diese Erkenntnis scheint in der öffentlichen Diskussion verloren gegangen zu sein. 9/11 hat die Amerikaner im Herz getroffen. Ein bis dahin über die Geschichte der Weltkriege des 20. Jahrhunderts nahezu unversehrter Kontinent wurde vom Terror geschlagen.

Dabei sollte man sich an der eigenen Nase fassen und sich daran erinnern, welche Hysterie die Rote Armee Fraktion in Deutschland mit “nur” 34 Morden in fast zwei Dekaden auslöste, die ihren Höhepunkt im “deutschen Herbst 1977” hatte. Das gilt sowohl für die Befindlichkeit als auch den Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen, die man durchaus für unverhältnismäßig halten konnte.

Was Snowden offenbart hat, ist offensichtlich wenig spektakulär. Während die EU-Vorratsdatenspeicherrichtlinie vorsieht, dass Telekommunikationskonzerne und Internetprovider auf eigene Kosten gezwungen werden sollen, Kundendaten zu speichern, haben sich die USA für die ordnungspolitisch richtige Variante entschieden: Sie machen das lieber gleich selbst und auf eigene Kosten.

Was Merkel und vielen anderen Staatsleuten widerfuhr, kann Obama gar nicht passieren. Er musste seinen privaten Blackberry bei Amtsantritt abgeben, während Merkels CDU-Handy von der NSA abgehört werden konnte, weil sie nicht in den Verdacht geraten wollte, mit dem abhörsicheren Kanzlertelefon verdeckte Parteienfinanzierung zu betreiben.

Niemand macht sich darüber hinaus Gedanken, wer noch alles sich für die Parteiinterna interessiert. Und warum. Während bei den USA wohl unbestritten die Terrorabwehr und Sicherheit im Vordergrund steht und ein wenig Industriespionage als Windfall-Profit anfallen mag, dürften die entsprechenden Aktivitäten unserer russischen und chinesischen Freunde sicher anderen Zielen dienen. Aber darüber ist bei den investigativen Kollegen vom Gurdian oder dem neuen Verbund vom neuen Süddeutschland und der Arbeitsgemeinschaft der zwangsfinanzierten Rundfunkanstalten in Deutschland nichts zu lesen.

Der gerade eingesetzte NSA-Untersuchungsausschuß ist auch nichts anderes als ein pawlowscher Reflex, der belegt, wie weit der Antiamerikanismus in Deutschland schon gekommen ist. Denn er hat nicht zum Gegenstand, wie wir uns gegen einen Cyberangriff wehren könnten, die der große Freund des deutschen Volkes, EX-KGB Agent Wladimir Putin in Folge der Krim-Krise befehlen könnte. Oder wie das NATO-Mitglied Estland 2007 Opfer einer entsprechenden Attacke wurde. Er stellt auch nicht die Frage, warum der Menschenrechtsaktivist und Freiheitskämpfer sich in die Hände eines Staates begibt, der ein paar Junge Frauen für Jahre in sibirische Straflager schickt, nur weil sie in einer Kirche ein wahrscheinlich ziemlich geschmackloses Lied gesungen haben und das auch noch bei Youtube einstellten.

Wenn die Politik wissen wollte, wie es um die wirklichen Gefahren bestellt ist, bräuchte sie nur bei einem deutschen Telekommunikationsunternehmen nachzufragen. Wer sein Dienst-Telefon oder -notebook in China auch nur anstellt, kann es gleich da lassen. In Europa darf er es nicht mehr benutzen.

Es wird auch nicht öffentlich diskutiert, wie sehr die deutsche Infrastruktur verwundbar ist – von freischaffenden genauso wie von staatlichen Terroristen: Wer die paar Knotenpunkte kennt, an denen das Netz zusammen läuft, braucht ein bisschen Sprengstoff und alle Räder stehen still. Sofort.

Dass die EU-Staaten mittlerweile die Vermögen ihrer Bürger mit “automatischen Informationsaustausch” genannten Kapitalverkehrskontrollen systematisch ausspüren, ist auch kein Thema. Heute jährt sich übrigens das Einfrieren der zypriotischen Kontoguthaben über 100.000 Euro. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Krieg ist Gewalt. Aber heute braucht man Staaten nicht unbedingt mit Waffen zu bedrohen. Man kann ihnen auch durch Störung oder Zerschlagung ihrer Kommunikationsinfrastruktur schweren Schaden zufügen. Punktuell oder brachial. Darüber müsste man sich in den Geheimdiensten und Parlamenten Gedanken machen. Aber das überfordert die Vorstellungskraft der Etatisten und Bürokraten, deren staatliche Steuermechanismen, die Kameralistik, mit der Geschwindigkeit des Postkutschenzeitalters funktionieren.

Und so sind sie alle nützliche Idioten für die virtuellen Verbrecher, die Millionen Passwörter stehlen, für die Diktatoren und lenkenden Demokraten, die einen Keil zwischen uns und unsere amerikanischen Freunde treiben wollen, die uns diese Freundschaft in der Vergangenheit – sicher nicht ganz uneigennützig – schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

Die Überschrift folgt übrigens einem FAZ-Artikel von Peter Carstens, der in ein vergleichbares Horn  stößt.