Auf der Achse des Guten hat Vera Lengsfeld vor einiger Zeit den jüngsten Zuwachs der Tatort-Familie kritisiert. („Der ‚Tatort‘ als geistiger Brandstifter“). Sie tut das völlig zu Recht und in erstaunlich gelassenen Worten. An ihren Argumenten ist nichts auszusetzen. Doch offenbar können nur wenige Menschen diese nachvollziehen.
Der Tatort war nicht einfach ein schlechter Film. Die völlig unglaubwürdige Handlung (ein Jugendlicher zündet ein Auto an, in dem sich eine Frau befindet, aber der Mörder war der Ehemann) ist hier weniger interessant als der Hintergrund nahezu täglicher Autobrandstiftungen und der ermittelnde Kommissar. Denn der ist ein Held der Willkür und als Vertreter eines Rechtsstaates eine solche Katastrophe, dass mir schlicht die Worte fehlen.
Das wird besonders in einer Szene deutlich, die Lengsfeld wie folgt beschreibt:
„Als er [der Kommissar] ein paar bürgerlich aussehende Elemente um das ausgebrannte Auto herum stehen sieht, bedeutet er ihnen, sofort Leine zu ziehen, sonst würde [er] ihnen einen kleinen Arrestaufenthalt verpassen. Auf die Frage einer Frau, was sie denn getan hätten antwortet er tatsächlich: ‘Ach, da werde ich mir was Schönes ausdenken’. An dieser Stelle sind wir mit der ARD in der DDR gelandet, wo ähnliche Praktiken alltäglich waren, wenn ich auch gestehen muss, dass die Stasimänner selten so gut aussahen, wie der coole Kommissar.”
Daran ist nichts falsch. Und wer weiß, wenn ich die (sagen wir’s vorsichtig) problematischen Implikationen dieses Tatorts hätte aufzeigen müssen, hätte ich vielleicht genau denselben Vergleich bemüht. Denn die Bindung an Recht und Gesetz spielte weder in diesem Tatort noch für die Stasi eine Rolle. Doch scheint das für erstaunlich viele Menschen unproblematisch zu sein.
Denn solche polizeistaatlichen Aussetzer sind nur dann zu verurteilen, wenn sie a) im Nationalsozialismus oder b) in der Bundesrepublik gegen die Guten, d. h. die Linken, passieren. Wenn man also Abschreckung erreichen will, muss man etwas von Gestapomethoden oder Naziterror schreiben. Oder Schutzhaft, das würde sich hier auch anbieten. Der DDR-Vergleich wird dagegen traurigerweise oft mit einem Schulterzucken quittiert. Denn Unrechtsstaat war dieses Land schließlich für einen guten Zweck.
12 comments
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15. May 2013 at 21:05
Alreech
Das ist nicht der erste Tatort bei dem die Autoren ihrem gesunden Volksempfinden freien Lauf lassen.
In “Frau Bu lacht” lassen die Tatortkommissare es zu das eine geständige Mörderin sich ins Ausland absetzt – schließlich hat sie einen Kinderschänder erschossen, da kann man mal Fünfe gerade sein lassen.
Im Tatort “Abschaum” wird die Legende vom Satanistischen Kinderschänderringen aufgegriffen, die ungestraft ihrem Treiben nachgehen können weil Politik und Justiz mit drin stecken.
Nur ein heldenhafter ehemaliger KSK -Soldat räumt mit dem Abschaum auf, und fabriziert einen Bodycount von 14 Leichen (darunter ein Arzt, ein Anwalt, ein Staatsanwalt…).
Würde im Privatfernsehen oder im Kino so eine Verherrlichung der Selbstjustiz laufen ? Eher nicht, das würden die Landesmedienanstalt oder die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien schon zu verhindern wissen.
16. May 2013 at 10:12
Am_Rande
Apropos, nicht der erste Tatort…
Aus der Wikipedia:
Spoiler-Alert! 😉
Taxi nach Leipzig ist der erste Fernsehfilm der Krimireihe Tatort aus dem Jahre 1970.
[…]
Ein Amtshilfeersuchen des Generalstaatsanwalts der DDR fordert die Unterstützung der Ermittlungsbehörden der Bundesrepublik an. Auf einem Rastplatz der Transitautobahn nahe Leipzig wurde die Leiche eines Jungen gefunden.
[…]
[Hauptkommissar] Trimmel beginnt mit eigenen Nachforschungen. Diese führen ihn zunächst zu einer Villa an der noblen Hamburger Elbchaussee. Durch Ausfragen einer Nachbarin bekommt der Kommissar heraus, dass der vermögende Chemiker Erich Landsberger, Vater des tot aufgefundenen unehelichen Kindes […] verzogen ist.
[…]
Auf der Rückreise will Trimmel von Landsberger wissen, wie [dieser] sich des Kindes entledigt hat, wobei ihm klar wird, dass das Kind noch lebte und zur Sicherheit von ihm erstickt worden ist.
Von wegen, früher was alles besser… 😉
16. May 2013 at 15:50
Rika
Wo in diesem Artikel steht etwas von “früher war alles besser”?
Nichts davon ist dort zu lesen, vielmehr wird darauf hingewiesen, dass das DDR-Unrecht nur mit einem Schulterzucken hingenommen wird, während Anklänge in “Tatorten” an die rechte Szene oder Nazivergangenheit zu hysterischer Betriebsamkeit im Film selbst führen und in den “Nachsitzungen” bei unseren schönen Talkrunden regelmäßig zu selbstzerfleischenden Reflexionen über die Schlechtigkeit unserer Gesellschaft und die Notwendigkeit zur Besserung !
Was mir den Tatort (in letzter Zeit) wirklich vergrätzt ist vor allem der moralische Zeigefinger und das lehrerhafte Vorführen von gesellschaftlichen Missständen durch die Themenvorgabe und Ausführung der Filme, ganz zu schweigen von den Nachbesprechungen bei Jauch, Will und Konsorten. Darauf kann ich gerne verzichten!
Wer so naiv ist zu glauben, es gebe eine Gesellschaft ohne deren Abgründe, der sollte doch besser Rosamunde Pilcher statt Tatort gucken. Wenn ich aber schon einen Krimi schaue, will ich kein politisches oder sozialkritisches Lehrstück sehen…. Das schaue ich mir bei den sogenannten “Magazinen” an…. oder auch nicht!
😉
16. May 2013 at 16:58
Am_Rande
Sehr verehrte “Rika”,
es ging mir in meinem Kommentar darum, aufzuzeigen, dass der Tatort nicht “in letzter Zeit” zu der moralinsauren Verfilmung sozialpädagogischer Anschauungen über die “wahren Verbrecher” in unserer Gesellschaft verkommen ist. Sondern, dass er es von Anfang an war. Ich gebe zu, ich habe das Glück gehabt, mir erst vier bis fünf dieser Machwerke anschauen zu müssen, aber “Taxi nach Leipzig” gehörte dazu, und alle Tatorte, die ich gesehen habe, versprühten den selben sozialdemokratischen “Charme”. Anekdotische Evidenz, ich weiß…
16. May 2013 at 18:03
Rika
Nö, “Am_Rande”,
dem kann ich nicht zustimmen. Vielleicht, weil ich zu sehr Teil der “moralinsauren” und bis zum Abwinken biederen Gesellschaft bin, mit der sich der Tatort “früher” beschäftigt hat.
Ich denke an Bienzle, Stöver und Brockmöller, an den unverwechselbaren Schimanski und erinnere mich sogar noch an den Tatort aus Essen mit Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp…. Also gute 40 Jahre Tatort-Unterhaltung! Wobei die Betonung durchaus auf “gut” liegt.
Dass es dazwischen immer mal gähnend langweilige Filme gab und solche, die ich mir nicht unbedingt antun musste – geschenkt.
Es gab immer schon locker-leichte und düster-schwere, aktionsbetonte und solche, die mehr das kriminalistische Gespür ansprachen mit guten Dialogen oder auch einige, die einfach zu blöd gestrickt waren, als dass man sie jemals wieder anschauen würde und manche habe ich auch als Beleidigung meiner Intelligenz empfunden – besonders in den leltzten Jahren, wenn die Geschichte allzu durchsichtig war und die Ermittler saudumm…
Witzig finde ich die Münsteraner, wobei ich zugeben muss, dass die den Bogen der “Witzschickgkeit” oft mal heftig überspannen – wenn auch mit einem Augenzwinkern, dem man anmerkt, dass sie sich selbst nicht so wirklich ernst nehmen…
Sozialdemokratischer Charme????? Seit wann gibts den denn??? Da kann man schon eher von CDU-Mief reden!
17. May 2013 at 14:15
Am_Rande
Sehr verehrte “Rika”,
es liegt mir fern, in irgendeiner Weise Recht behalten zu wollen. Ich stimme Ihnen ja auch in der Abneigung gegen “moralische Zeigefinger und das lehrerhafte Vorführen von gesellschaftlichen Missständen” in den heutigen Tatorten zu mindestens 100 Prozent zu; aber da ich nie einen Tatort mit “Schimi” gesehen habe, diese Figur aber als pars pro toto für die Sendereihe steht, habe ich gedacht, es müsse doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht…
Und wirklich:
“Er stellte einen Mann der 68er-Generation dar, der immer noch gegen die Generation der NS-Zeit auf seine Weise rebellierte. Auch machte er oft mobil gegen ausländerfeindliche Vorurteile und pflegte sogar freundschaftliche Beziehungen zur Generation der Gastarbeiter, was ihn aus Sicht seiner Chefs zum Spezialisten in Kriminalfällen in diesem Milieu machte.”
(Quelle: Wikipedia)
Also, sehr verehrte “Rika”, nicht der Tatort ist so sehr viel schlechter, da gutmenschlicher, geworden, aber Ihr Geschmack und Ihr Gespür für verdeckte Indoktrination sind viel, viel besser geworden… 😉
16. May 2013 at 19:16
Thomas ex Gotha
Frau Lengsfeld assoziiert bei einer Szene “Stasi”, Sie nehmen die Anregung auf und schließen aus dieser Assoziation auf die Intention dieses Kriminalfilms. Der DDR-Vergleich, den allein Frau Lengsfeld angestellt hat, werde “mit einem Schulterzucken quittiert” – darf man fragen, von wem?
Weiterhin sollte man eigentlich wissen, dass es sich bei “Tatort”-Filmen um fiktionale Werke handelt: deutsche Polizeibeamte sind nicht so, wie sie dort dargestellt werden.Kann man aber den Versuch, fiktionale Werke aufgrund ihres Inhalts zu verbieten, als etwas anderes als Zensur bezeichnen? Denn genau darauf läuft Lengsfelds finaler Seufzer, sie müsse dies alles mit Gebühren bezahlen, hinaus. Das ist peinlich für eine Bürgerrechtlerin, die immer von sich behauptet, für die Meinungsfreiheit gekämpft zu haben. Wie gut, dass man mir zumindest mir keine Illusionen mehr über diese Dame rauben kann.
16. May 2013 at 19:48
Rika
“Auf die Frage einer Frau, was sie denn getan hätten antwortet er tatsächlich: ‘Ach, da werde ich mir was Schönes ausdenken’. An dieser Stelle sind wir mit der ARD in der DDR gelandet, wo ähnliche Praktiken alltäglich waren, wenn ich auch gestehen muss, dass die Stasimänner selten so gut aussahen, wie der coole Kommissar.””
Darauf bezieht sich wohl der Stasi-Vergleich! Und in der Tat hat das ja auch niemanden aufgeregt, die den Krimi kommentiert haben und im Film sind die Bürger auch prompt in alle Richtungen auseinander gelaufen! Offensichtlich hat die Drohung ihre Wirkung nicht verfehlt.
Wenn das aber tatsächlich eine gängige Methode der Polizei sein sollte, hätte Frau Lengsfeld doch nicht ganz Unrecht mit ihrem Vergleich, oder? Und dass Frau Lengsfeld Zensur üben möchte, kann ich beim besten Willen nicht daraus entnehmen. Eher ein Bedauern um das schöne Geld, das man an die Öffentlich-Rechtlichen für deren oftmals doch recht schludrige und einseitig ausgerichtete Arbeit bezahlen muss! Der “Tatort” bildet doch eher noch die feine Ausnahme vieler Filme, Shows und sonstiger Berichte und Sendungen, die ARD und ZDF den Zuschauern anbieten und / oder zumuten!!!!!
Natürlich sind die Filme reine Fiktion, so dämlich, wie manche Ermittler in Krimis vorgehen (auch im Tatort) kann die Polizei nicht sein. Andererseits…. vielleicht ist ja doch ein Körnchen Wirklichkeit darin…
17. May 2013 at 01:32
Thomas ex Gotha
Liebe Frau Rika,
meinen Sie, die Polizei kooperiert nicht mit der middle-class, sondern mit der antifa? Das widerspricht doch wohl jeglicher Alltagserfahrung. Dass Frau Lengsfeld sich über einen solchen Märchenfilm empört, zeigt ihre Sehnsucht, welche immer auch den Zensurwunsch impliziert, nach einer stromlinienförmigen Filmwelt, Und nicht einmal die herrschaftsstabilisierende Funktion einer Tatort-Folge begreift sie: denn die netten, kritischen, witzigen Kommissare sollen uns mit einem Apparat versöhnen, der die großen Gangster meist unbehelligt und die kleinen Ganoven selten laufen lässt.
Trotzdem gehören einzelne Folgen dieser Serie oft zum Besten, was es hier zu sehen gibt.
Gute Grüße,
Thomas ex Gotha
16. May 2013 at 19:49
Gutartiges Geschwulst
Thomas ex Gotha: “Kann man aber den Versuch, fiktionale Werke aufgrund ihres Inhalts zu verbieten, als etwas anderes als Zensur bezeichnen?”
Wo glauben Sie gelesen zu haben, dass Vera Lengsfeld versucht irgendwelche Werke zu verbieten?
Gestalten Sie die Verlogenheit Ihrer Unterstellungen doch bitte etwas geschickter, wenn Sie schon nicht darauf verzichten können!
17. May 2013 at 01:19
Thomas ex Gotha
Den Gefallen tut uns Frau Lengsfeld natürlich nicht, dass sie offen eine Zensur fordert, aber sie unterstellt diesem Film eine verfassungsfeindliche Tendenz (“eine Botschaft (…) , die nichts Gutes für die Zukunft unserer Rechtsstaatlichkeit ahnen lässt”) und greift aus diesem Anlass das öffentlich-rechtliche Gebührenmodell X an ( “der nächste Tatort mit Falcke droht und wir müssen das (sic!) bezahlen, ob wir wollen, oder nicht”). Ich sehe hier eine Tendenz, unliebsame Produkte der Kulturindustrie gar nicht erst in die Öffentlichkeit bringen zu wollen, wozu ihr auch der – unbegründete und, wie erwähnt, rein assoziative – Stasivergleich dient.
Um so deprimierender, dass sie den Film offenbar gar nicht begriffen hat: ihre Formulierung “beste Verbindungen zur Antifa” lässt erkennen, dass sie mit dem Begriff “V-Leute” nichts anzufangen weiß, und die ermordete Gattin erlebte keine “Drogenabstürze”, sondern war psychisch und alkoholkrank. Ich weiß das, ich habe den Film gesehen, weil der Kommissar mein Alter hat, in der Stadt, in der ich derzeit lebe, geboren wurde, und durchaus, da gebe ich Vera L. ex W. einmal Recht, gut aussieht. Mehr Positives gibt es aber nicht zu berichten, ich langweilte mich bei einem schlechten Film. Und doch, was Frau Lengsfeld gegen ihn vorzubringen wusste, ist so dermaßen primitiv und tendenziös, dass man sich wundert, wie dergleichen überhaupt ernsthaft diskutiert werden kann.
P.S.: Attacken gegen das öffentlich-rechtliche TV von einer Frau, die dort häufig in Talkshows sitzt, sind nicht allein boshaft, sondern ein Ausdruck von — ja was eigentlich? Autoaggression?
17. May 2013 at 10:31
Thomas ex Gotha
kurze Ergänzung. bei “Gebührenmodell X” bitte das “X” streichen. Das ist aus Versehen dahin gekommen.