Erinnern Sie sich noch an den “Fall Drygalla”? Eine junge Athletin musste fluchtartig das olympische Dorf verlassen, weil ihr Lebensgefährte rechtsradikale Gesinnungen pflegte. Sippenhaft gab es sonst nur im Dritten Reich. Und den Pranger im Mittelalter. Heute erfüllt diese Rolle der deutsche Qualitätsjournalismus. Gerecht ist nur eines daran: Jeder kann in den Strudel der Edelfedern und öffentlich-rechtlichen Medien geraten, die vor allem eines pflegen: ihre Vorurteile. Während die Edelfedern ihre Messer an dem FDP-Mann wetzen, kommentieren sie gefällig die Fleischbeschau beim RTL: Der Bachelor lässt grüssen.
Nun also Brüderle. Weil die mehrheitlich grünen deutschen Redakteure von der Niedersachsenwahl aufgeschrecckt eine Fortsetzung der Schwarz-Gelben Koalition fürchten, wird der “Hoffnungsträger” der Liberalen (Qualitätsjournalistin Laura Himmelreich) kurzerhand zum Sexisten erklärt. Die naßforsche Jungjournalistin gönnt dem für seine Weinseligkeit nicht unbekannten ehemaligen Weinbauminister selbst gegen Mitternacht keine Ruhe und freut sich über ein ein wenig anzügliches Zitat (“Sie können ein Dirndl auch ausfüllen”), dass sie erst ohne die wahre Urheberschaft zu offenbaren zu einem Ilse Aigner Portrait (“Dirndl-Tauglich”) animiert, bis sich die lange unterdrückte Empörung doch noch übermannt (oder sollte man besser überfraut sagen) und sie die vielleicht unzutreffende Beschreibung ihrer weiblichen Attribute durch den getrübten Blick des älteren Herren ein Jahr später öffentlich macht, just nach dem dieser zum Spitzenkandidaten der immer noch nicht untergegangenen letzten Splitterpartei mit einem liberalen Flügel untergegangen ist. Bei der besteht schließlich die Gefahr, dass sie doch noch mit einem lauten Aufschrei den Weg in die ökosoziale Kinderkrippen-Knechtschaft aufzuhalten suchen könnte. Und das von einem Pult im Parlament, wo man sie nicht einmal ignorieren kann. Die paranoide Furcht der medialen Volkserzieher vor dem Rest bürgerlichen Individualismus produziert eine Selbstzensur des Mainstreams, die jede den als Konsens verschleiertem Denkverbot als extremistisch zum Tabu erklärt. Ich sage nur Sarrazin.
Als ich 1982 meine journalistische Karriere bei der Lokalredaktion des Bad Lauterberger Tageblatts begann, die ich später als freier Mitarbeiter des Wirtschaftsteils einer deutschen Regionalzeitung fortsetzen sollte, war eine solche Verzerrung der Wirklichkeit schwer vorstellbar. Einerseits gab es keine sechs politische Talk-Shows im deutschen Fernsehen sondern nur den internationalen Frühschoppen mit Werner Höfer und sechs Journalisten aus sieben Ländern. Gerade die ausländischen Kollegen, die auch zu innerdeutschen Fragen zwischen den Rauchschwaden von Pfeifen, Zigarren und Zigaretten zur mittäglichen Stunde nicht nur am grün gestielten Riesling-Glas nippten, scheinen aus der heutigen Sicht ein nötiges Korrektiv des deutschen Gesinnungsjournalismus zu sein, selbst wenn sie von der sowjetischen PRAWDA kamen. Andererseits hatten Chefredakteure und Ressortchefs noch Prinzipien und Maßstäbe. Himmelreichs Brüderle-Geschichte wäre als unrelevante Unaktualität nie erschienen. Wie so vieles andere.
Der erste dramatische Fehlgriff der Medienszene waren nicht die vermeintlichen “Hitler-Tagebücher”, die – man glaubt es kaum, ausgerechnet von Laura Himmelreichs heutigem Arbeitgeber herausgebracht wurden, der seine Titelbilder ansonsten so oft mit “lecker Mädsche” unbeschürzt dekoriert, dass die Sexismus-Wächtering Alice Schwarzer sich selbst zum Objekt der Begierde (welch ein Irrtum) degradiert sah und vor Gericht zu Felde zog.
Nein der erste Medienhype, der sich auf Hysterie und weniger auf Fakten stützte war “Le Waldsterben”, wie die Franzosen sagten. Glaubt man seinerzeitigen Prognosen zu Beginn der Achtziger, so müsste im Schwarzwald eigentlich kein Baum mehr stehen.
Auch das erste Medienopfer lässt sich leicht ausmachen. Es hieß Uwe Barschel, ein windiger Karrierist, der bieder Freya von Bismarck ehelichte und sich gelegentlich preiswert mit Ost-Mädchen im Rostocker Hotel Neptun vergnügt haben soll. Dessen Zimmer waren mit soviel Kameras ausgestattet, um jede Stellung in Szene zu bringen, dass deutsche Porno-Produzenten noch heute davon träumen können.
Barschel soll den “Medienreferenten” Pfeiffer im Wahlkampf beauftragt haben, allerlei schmutzige Details über den Wettbewerber Björn – die Pfeife – Engholm zu erzählen, der sich gerne als schöngeistiger Intellektueller stilisierte. Den kostete die Sache ein paar Jahre später die Karriere, weil heraus kam, dass er – anders als beeidet – von Pfeiffers Treiben frühzeitig vielleicht mehr wusste als Barschel selbst, was die Sache in ein merkwürdiges Licht rückt, weil der Spiegel unter dem schönen Titel “Waterkant Gate” die Melange treffsicher am Vorwahlsamstag platzierte, was Engholm allerdings immernoch nicht zur gewünschten Mehrheit verhalf.
Das Sturmgeschütz der Demokratie schoß so manchmal gegen den vermeintlichen Gegner. So zahlten alle möglichen Schatzmeister der politischen Parteien brav Anfang der Achtziger Jahre ihre Strafbefehle wegen Steuerhinterziehung, ohne dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm. Die “staatsbürgerliche Vereinigung” und andere illustre Kreise hatten mit Schecks und Bargeldcouverts jahrzehntelang in der Bonner Republik “politische Landschaftspflege” (Eberhard von Brauchitsch) betrieben, die im Nachhinein zur Straftat deklariert worden war.
Einzig Otto Graf Lambsdorff musste sich dank der nordrhein-westfälischen Klassenjustiz in einem Schauprozess vor dem Bonner Landgericht verantworten, wo mit man sich des “Marktgrafen” am Kohlschen Kabinettstisch entledigte. Das war die gerechte Vorstrafe für den Autor des “Wendepapiers”, das den allseits bei der Journaille so geliebten Dampf- und Nebelplauderer Helmut Schmidt vom Kanzlerstuhl fegte, weshalb er seither als Orakel von Bergedorf ungefragt seinen mentholgetränkten Senf zu diesem und jedem am liebsten auf Stichwort von Sandra Maischberger zum besten gibt.
Die Verrohung der Sitten in der medialen Landschaft war keine Folge der Kommerzialisierung der Medien sondern eher Produkt der Copy- and Paste Methode, nach der sich jede Entgleisung, Geschmacklosigkeit und Hysterie nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Talk-Shows multipliziert und dem Online-Redakteur keine Zeit zum Anlegen eigener Maßstäbe lässt, selbst wenn er die denn hätte.
Auch beim Ex-Präsidenten Wulff wurde genau genommen gleich mit mehrerlei Maß gemessen. Der Mann in der Midlife-Crisis von den Wünschen nach Prestige seiner jungen Gattin nach einem spießigen Reihenhaus in Großburgwedel übermannt worden und lieh sich das Geld dafür von einem Freund, mit dem das Land Niedersachsen keinerlei Geschäftsbeziehung hatte. Der eigentliche Skandal war die Spießigkeit des Klinkerbaus in der Provinz. Wulff verhielt sich ungeschickt gegenüber der Blöd-Zeitung, die ihm das nicht verzieh. Gemeinsam mit der restlichen Meute jagte man ihn wie einen reudigen Hund vom Schloßhof und vernichtete seine Existenz. Immerhin besser als bei Barschel, der seinen letzten Atemzug unter ungeklärten Umständen in einer Genfer Hotelbadewanne nahm.
Wir könnten (und müssten) das Spektrum auch noch um die Schlagworte BSE, Vogelgrippe oder EHEC erweitern. Klimawandel, Pallywood, Antisemitismusdiskussion, Energiewendeund Eurokrise nicht zu vergessen. Díe groteske Sexismus-Diskussion
Als klassischer Rationalist und bekennender Anhänger Kants ist Aufklärung der Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Die deutsche Medienlandschaft macht das Gegenteil.
12 comments
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4. February 2013 at 15:13
Paul
Danke für diesen zutreffenden, zusammenfassenden Beitrag über die zum “Himmel stinkenden” Medien.
Deutschland hat sich gewandelt. Von der parlamentarischen Demokratie über eine kurze Phase der Mediendemokratie hin zu einer Mediendiktatur.
Dort sind wir schon längst angekommen. Von Jahr zu Jahr wird sie gefestigt und ausgebaut.
Da fällt mir nur noch Heinrich Heine ein: “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.”
Ergänzen möchte ich es: “Denk ich an Deutschland am Tage, bedrückt mich die Medienplage.”
Besserung ist nicht in Sicht.
Ein Verbotsverfahren nicht möglich.
Was bleibt übrig? Wie Don Quichotte gegen die “Windmühlen” ankämpfen? Danke euckenserbe, dass Du dies tust.
5. February 2013 at 11:14
hajue
Mediendikatur? Nein. Es ist angebrachter, von einem politisch-medialen Komplex zu sprechen.
5. February 2013 at 11:59
Jaquento
Ein Runde Mitleid… Im Ernst, was kommt als nächstes? Der Journalistin vorwerfen das sie ohne Burka derartige Kommentare proviziert?!
Brüderle hat sich daneben benommen und ist noch nichtmal manns genug dafür öffentlich gerade zustehen.
5. February 2013 at 12:29
Adrian
Wer seine Möpse zeigt, muss damit leben, dass diese kommentiert werden.
5. February 2013 at 18:06
Schula
Ach Sie waren dabei? Erzählen Sie mal was die Dame denn an hatte?
6. February 2013 at 02:26
Paul
Schula, genau das ist das Problem. Niemand von uns war dabei. Keiner von uns hat gehört, was Brüderle gesagt hat.
Für Brüderle war es sicherlich eine unbedeutende Begegnung von vielen im Laufe eines Jahres. Deshalb kann er sich sicherlich nicht einmal mehr daran erinnern an diesem Tag mit dieser Journalistin überhaupt gesprochen zu haben.
Die Einzige, die sich noch genau an jede Einzelheit erinnert ist die Journalistin. Wie schön für sie!
Wofür soll sich Brüderle entschuldigen?
Dafür, das Behauptete gesagt zu haben?
6. February 2013 at 12:38
Adrian
Da die Begebenheit an einer Hotelbar stattfand, nehme ich stark an, dass Frau Himmelreich sich entsprechend aufgetakelt und auch ihr Dekollete ins Blickfeld gerückt hat, so wie das die meisten Frauen machen.
Schlimm ist ja auch nicht, wenn Mann da hinschaut, “schlimm” ist es, wenn der falsche Mann hinschaut, oder wenn man es politisch ausnutzen kann, dass der falsche Mann hingeschaut hat.
6. February 2013 at 16:44
Schula
In der Hotelbar haben sich FDP Politiker mit vielen Journalisten getroffen, da ging es nicht ums Aufgetakelt sein.
Paul, die Frau schrieb ein Portrait über Brüderle, daher war es weder das erste Treffen noch konnte sich Brüderle nicht an sie erinnern.
Es war ein journalistisches Gespräch und da gehören Diskussionen über das Aussehen einer Journalistin nicht hin. Darauf hat sie auch hingewiesen. Ich sehe keinen Grund, daß sie nicht die Wahrheit sagte und wenn es Brüderle bestreiten wollte, hätte er die Gelegenheit gehabt, es anders darzustellen. Du machst es dir ein wenig zu einfach.
Ums entschuldigen gehts mir gar nicht.
7. February 2013 at 09:26
Paul
“Ach was”, würde Loriot sagen, lieber Schula.
So wie Sie das schreiben, waren Sie an der Hotelbar wohl dabei?
Um welche Uhrzeit war das? An der Hotelbar journalistische Gespräche? “Nachts um halb Eins” (?) sag ich mal etwas sarkastisch.
Ach so, ich habe vergessen, Anmerkungen über das Aussehen der Journalistin gehören dort nicht hin? Aber das Alter des Politikers darf von einer in der Blütre ihrer Jugendlichkeit stehenden Journalistin schon angesprochen werden?
Na gut, lieber Schula, lassen wir das. Sie haben Ihre Meinung und ich habe eine andere.
Noch eine Anmerkung: bitte verdrehen Sie in einer Diskussion nicht die Worte.
Ich habe nicht geschrieben, dass Brüderle die Journalistin nicht kennt, sondern, dass er sich sicherlich nicht mehr daran erinnern kann “ob er an diesem Tag mit dieser Journalistin gesprochen hat”.
Sie schreiben:
“Ich sehe keinen Grund, daß sie nicht die Wahrheit sagte und wenn es Brüderle bestreiten wollte, hätte er die Gelegenheit gehabt, es anders darzustellen.”
Und ich sehe keinen Grund weshalb sie die Wahrheit sagen sollte und erst recht keinen für Brüderle etwas anders darzustellen, an das er sich nicht mehr erinnern kann. Dann würde die von der Journalistin gestellte Falle zu schnappen. In die Altersfalle ist Brüderle zu ihrem Bedauern nicht gegangen.
Jedenfalls ist es die Frechheit einer jungen Journalistin, so mit einem gestandenen Politiker umzugehen.
7. February 2013 at 16:39
Schula
Wenn Sie schon das mit Brüderles Alter ansprechen, sollte Ihnen nicht entgangen sein, daß die FDP seit Monaten davon redet, die Spitze zu verjüngern. Daß Brüderle ist dieser Beziehung kein Neuanfang sein kann, ist ziemlich klar und daß anzusprechen, ist normal. Sie hat ihn nicht beleidigt, wenn sie ihn fragte, ob er sich in seinem Alter noch selber als Hoffnungsträger sieht.
Es war nichts nachts um halb eins, sondern um 22 Uhr. Wenn Sie das nicht mal überprüfen, hat es keinen Sinn weiter zu debatieren.
In Sachen Israel sind Sie immer sehr kritisch mit der Berichterstattung, aber bei sowas übernehmen sie die Berichte als wäre das das Evangelium. Der Stern hat das schon lange!!! richtiggestellt.
Woher wollen Sie denn wissen, daß sich Brüderle angeblich nicht erinnern kann? Er hat bis heute gar kein Wort zu dieser Debatte gesagt.
Aber schon Ihre Annahme die Frau habe gelogen, zeigt die Tendenz vieler Männer, Frauen als Täterinnen darzustellen bzw. ihnen durch was auch immer zu unterstellen, sie wären selber schuld. Ich hoffe, diese Denke ist auch irgendwann in diesem Land Geschichte.
נמאס לי כבר מזה לגמרי.
8. February 2013 at 01:45
Paul
Schula ich zitiere mal:
Ich:””Nachts um halb Eins” (?) sag ich mal etwas sarkastisch.”
Sie:”Es war nichts nachts um halb eins, sondern um 22 Uhr.”
Das habe ich gemeint…
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hitlisten_des_nordens/hitlisten303_item-17509_liste-34.html
… mit meiner Anspielung, die Sie leider nicht verstanden haben, um diese ganze Farce etwas aufzulockern. 🙂
Schula, auch sonst haben Sie mich missverstanden. Ich wollte nicht ausdrücken, dass die Journalistin gelogen hat. Befremdlich ist für mich alleine der Fakt, dass sie diese Geschichte zu einem ganz bestimmten, ihr passend erscheinenden Zeitpunkt – ein(!) Jahr später – veröffentlicht.
Das ist für mich Missbrauch der Medien für eine Kampagne oder noch drastischer ausgedrückt – für Rufmord oder wenigstens den Versuch dazu.
In dieser Geschichte ist Frau Himmelreich Täterin und ich hoffe sehr, dass sich diese Denke in diesem Land mal durchsetzt.
Vielen Dank dafür, dass Sie bemerken, dass ich bei Israel betreffenden Berichten sehr kritisch bin.
Entgangen ist Ihnen leider, dass ich auch den Bericht der Journalistin sehr kritisch sehe.
Im “Hinterkopf” habe ich immer die Frage: “Cui bono?”
Damit bin ich oft sehr “gut gefahren”.
8. February 2013 at 02:17
Schula
So weit sind wir gar nicht auseinander. Das eine Jahr zu spät war sicher ein Fehler.