“Unterhöhlung des Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes zugunsten einer unlegitimierten Brüsseler Autokratie” – der antiliberale Nationalliberalismus hat gesprochen und es klingt doch sehr nach Nazi.
Dieser Reflex von Felix Riedel ist symptomatisch für den Minderwertigkeitskomplex der deutschen Intellektuellen und die Unterwürfigkeit der deutschen Politik. Und er ist eine der Ursachen für die Misere Europas, in der Deutschland es seit Jahrzehnten nicht wagt, seine Interessen so selbstbewusst durchzusetzen wie die englischen oder französischen Freunde. Die deutsche Geschichte besteht auch aus den 15 Jahren des Tausendjährigen Reichs – aber nicht nur. Und das Unheil, das im 19. und 20. Jahrhundert über Europa gebracht wurde, ging nicht nur von Deutschland aus. Wir sind mit zu hoher Geschwindigkeit auf einer Allee unterwegs. Und starren auf den Baum statt auf die Lücke. Und treffen ihn genau deshalb.
Deutschland hat sich rehabilitiert. Es ist demokratisch, freiheitlich und bis zur Selbstvergessenheit friedlich. Deutschland hat auch oft und richtigerweise seine Interessen zurückgestellt. Im europäischen Einigungsprozess hat Deutschland meist bezahlt und so die materiellen Voraussetzungen überhaupt geschaffen.
Die Angst der Kriegs- und Nachkriegsgeneration vor sich selbst ist dabei all zu verständlich. Und die defensive Außenpolitik der Nachkriegszeit eine logische Konsequenz daraus. Aber die Zeit ist vorbei.
Das reale Europa hat sich von der politischen Fiktion längst verabschiedet. Europa handelt miteinander. Gegen seine Kunden und Geschäftspartner führt man keinen Krieg. Nichts symbolisiert das besser, als ein Renault Kangoo, den der Daimler-Konzern den Mercedes-Stern verpasst hat. Ein Kleinlaster als Verbildlichung der wirtschaftlichen Verflechtung eines Kontinents, die gar nicht mehr zurück zu drehen ist.
Politisch bleiben die Deutschen die Prübel- und die Musterknaben des Kontinents. In der Strukturkrise wurden dem kranken Mann Europas die Schuld am mangelnden Wachstum des Kontinents gegeben. Heute ist es umgekehrt. Unsere Exportüberschüsse seien der Grund für die Schieflage unserer Nachbarn. Beides ist natürlich falsch. Wettbewerbsfähigkeit wird durch gute Rahmenbedingungen bestimmt. Und sie ist das Ergebnis von wirtschaftlichem Handeln, das diese Rahmenbedingungen nutzt. Für den Erfolg einer Volkswirtschaft tragen Unternehmen und Unternehmer die Verantwortung. Politiker können ihn nur verhindern: Durch zuviel Regulierung, zu hohe Steuern und Abgaben, vor allem durch die Anmaßung, mehr zu wissen als die Menschen, die ihre Regierung ertragen müssen.
Deutschland hat Europa mit seiner Unterwürfigkeit an den Rande des Abgrunds gebracht. Das war genau am 10. Mai 2010. Damals hat sich Angela Merkel von Nicolas Sarkozy erpressen lassen. Dabei hatte der gar nichts in der Hand. Der damalige spanische Ministerpräsident berichtet, dass der französische Präsident damit gedroht habe, den Franc wieder einzuführen, wenn Deutschland nicht dem Rechtsbruch der Griechenland-Rettung zustimmen wird. Wenn Recht einmal gebrochen wird, ist es dahin. So waren alle Schleusen offen und Deutschland erpressbar geworden.
Jeder Rettungsschwimmer lernt den Rautek-Griff, damit er nicht vom besinnungslos um sich schlagenden Ertrinkenden in die Tiefe gezogen zu werden. Merkel kennt ihn nicht. Sie hätte Sarkozy ein nüchternes “dann geh doch” entgegensetzen müssen. Der Franzose wäre geblieben und der europäische Vertrag hätte seine Gültigkeit nicht verloren. Das wäre Deutschland Europa schuldig gewesen.
In Europa denkt jeder an sich selbst. Die Griechen an die Griechen, die Franzosen an die Franzosen und die Briten an die Briten. Und die sagen das wenigstens offen laut und deutlich. Nur die Deutschen denken an Europa.
Die heutige IWF-Chefin Lagarde gibt dies in einem ARD-Film offen zu, der gestern ausgestrahlt wurde: Es ging ihr darum, den französischen Dampfer durch die Wogen der Krise zu steuern, nicht den europäischen.
Letztlich beschwört die Angst der Deutschen vor sich selbst die Gefahr, bevor der man sich fürchtet. Den Begriff “deutsches Volk” gleich als verkappten Nationalsozialismus zu begreifen, ist Ausdruck eines tiefen Reflexes, der genau der Unsicherheit entspringt, die die Sache so gefährlich macht.
Es ist nicht alles gut in Brüssel und nicht alles schlecht, was sich deutsch schimpft. Wir brauchen mehr Gelassenheit.
2 comments
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25. September 2012 at 14:58
Fred
Die Wahrscheinlichkeit dass Deutschland wieder zu einer Diktatur wird und dann sich das Elsass oder Pommern zurückholt ist doch (gottseiddank) gleich Null. Das hat viel mit der erfolgreichen Demokratisierung nach dem 2. Weltkrieg zu tun. Ich glaube nicht das die Eingliederung in die EU hier der wichtigste Grund ist. Auch ohne EU-Mitgliedschaft würde Deutschland mit Sicherheit nicht seine Nachbarn überfallen. Das ist kein Grund für den Euro oder die EU.
Die deutsche Regierung muss die Interessen Ihrer Bevölkerung vertreten. Also derjenigen die sie mit ihren Steuergeldern finanzieren. Eine europäischer Superstaat ist aber sicher nicht im Interesse der Bevölkerung.
Jede andere Regierung vertritt auch die Interessen Ihrer Bevölkerung. Es kann ja niemand glauben dass die französische Regierung aus europäischem Idealismus so handelt wie sie handelt.
25. September 2012 at 20:16
Mason
In der Tat fasziniert mich, dass Sarko – wenn es denn stimmt, was ich mir durchaus vorstellen kann – die Merkel mit dem Bluff über den Tisch ziehen konnte, Frankreich würde aus dem Euro aussteigen, stimmte denn Deutschland nicht den Griechenland-Hilfen zu. Es sollte in Frankreich doch noch in bester Erinnerung sein, wie man – als Franc und DM noch existierten – jede Zinserhöhung der Bundesbank unter Wehklagen mitmachen oder auch die Währung abwerten musste – ein Situation, die man ja durch die Einführung des Euro beseitigen wollte. Davon abgesehen hätte ich es mittelfristig für einen Gewinn gehalten, wäre Sarko ausgestiegen. Griechenland, Spanien, Italien und Portugal wären wohl gefolgt und die Stabilität des Euro stünde kaum mehr zu Debatte (Irland erholt sich wieder).