Die unvergessene Bärbel Bohley hat einmal gesagt: “Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat”. Diese Aussage wurde dieser Tage durch zwei merkwürdige Urteile bestätigt: Fachgerechte Beschneidungen junger Knaben sind eine Straftat. Und Lesben werden im Iran bei Einhaltung eines diskreten Lebensstils eben dieses Lebens froh. Der Rechtsstaat hat gesprochen.
Bei regelmäßiger und gründlicher Körperpflege ist die Entfernung des Preputiums sicherlich kein hygienisches Erfordernis oder medizinisches Muss. Zumal in unseren Breitengraden – trotz globaler Erderwärmung. Trotzdem ist in der jüdischen und muslimischen Tradition die Durchführung einer entsprechenden Operation eine religiöse Pflicht. Und auch hierzulande ist die Phimose zwar keine Volkskrankheit, wer sich aber dauerhaft nicht ordentlich wäscht, kann aus medizinischen Gründen zu einer entsprechenden Operation gezwungen sein.
Man muss kein Prophet sein, um für die Zukunft ein sprunghaftes Ansteigen dieser Krankheit gerade in den muslimischen und jüdischen Bevölkerungsteilen zu prognostizieren, was nebenher gesagt auch den Vorteil hat, dass die Sache von der Krankenkasse übernommen werden. Da kann man es dann bei der Bamitzwa ein bisschen mehr krachen lassen und das entschädigt das arme Kind dann auch mit einem zusätzlichen Geschenk von der Pein.
Anders als bei Frauen ist die Beschneidung beim Mann ein geringfügiger Eingriff in die Persönlichkeit. Ich habe noch nie von einer Selbsthilfegruppe beschnittener Männer gehört oder der Tatsache, dass sich ein Jude oder Muslime deswegen im erwachsenen Alter diskriminiert oder in seinen Persönlichkeitsrechten “beschnitten” fühlte. Die Beschneidung der Frau soll dagegen das Empfinden sexueller Lust verhindern. Würde man beim Mann vergleichbar physisch vorgehen, wäre nicht die Vorhaut weg sondern die “Eichel”.
Der deutsche Rechtsstaat kennt das Postulat der Verhältnismäßigkeit. Und hier ist abzuwägen zwischen den Interessen der Eltern, der kulturellen Tradition nud der Selbstbestimmung des Kindes, das der Staat möglicherweise vor irreversiblen Eingriffen in seine Persönlichkeit schützen muss. In einer Gesellschaft, in der bei Geschlechtsumwandlungen das komplette männliche Glied nachgebildet werden kann, wäre die Herstellung einer sensitiven Vorhautprothese wohl das geringste Problem. Brustvergrößerungen soll die Krankenkasse aus psychischen Gründen ja auch bezahlen. UNd die Kosten einer Rekonstruktion im Einzelfall dürften in der Realität auch weniger schwer in´s Gewicht fallen wie die der in Zukunft vermehrt auftretenden Phimose-Therapien.
Anders gesagt: Das Urteil ist unverhältnismäßig. Nicht mehr unverhältnismäßig ist ein Gericht, das einer Lesbe einen moderaten Lebensstil in ihrem Heimatland anempfiehlt, in dem man für den Nachweis einer homosexuellen Neigung üblicherweise an Baukränen aufgeknüpft wird, nicht ohne dass “revolutionäre Garden” und ähnliche Protagonisten der iranischen Revolution sich vorher noch an der entsprechenden Person in einer Weise vergehen, die für unsereins unvorstellbar ist. Dabei machen sie, wenn man den Berichten einschlägiger Menschenrechtsorganisationen glauben mag, übrigens weder vor Frauen noch Männern halt. Das ist wahrer Gender Mainstream! Ein solches Gerichtsurteil ist mit dem Begriff Justizskandal nur unzureichend beschrieben.
12 comments
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29. June 2012 at 16:07
Boris Eichler
Wikipedia: Im 12. Jahrhundert n. Chr. befürwortete der jüdische Arzt und Rabbi Moses Maimonides die Beschneidung auch wegen ihrer angeblich sexualtrieb-dämpfenden Wirkung: Die Geschlechtsorgane sollten so verletzt und geschwächt werden, dass sie zwar noch funktionieren, aber keine „überschüssige“ Lust mehr zulassen. Ansonsten mein Senf dazu hier: http://liberalesinstitut.wordpress.com/2012/06/28/beschnittenes-recht/
29. June 2012 at 16:25
Yael
Tja, das Problem ist wieder einmal Wikipedia.
29. June 2012 at 17:35
euckenserbe
ich habe offensichtlich nicht ausreichend deutlich gemacht, worum es m i r ging.
1. Dass die Ablehnung des Asylantrages einer lesbischen Iranerin in der Szene keine Empörungswelle – oder wie man sagen würde – einen Shitstorm entfacht hat, ist der eigentliche Skandal.
2. Bei mir ist noch alles dran. Ich kann also nicht beurteilen, in wie weit meine Lust gesteigert oder geschmälert würde. Ob ein Rabbiner aus dem 12. Jahrhundert da wirklich weiter helfen kann?
3, Soweit ich die jüdische Religion kenne, ist seine Stellungnahme ohnehin eher eine Einzelmeinung. So pharasäisch wie die Katholiken oder vermeintlich verzichtübend wie die Protestanten sind mir die Juden bisher eher weniger vorgekommen.
4. Broders Welt-Artikel trifft es ganz gut: Der Ex-Sankt-Pauli-Nachrichten-Redakteur hält die Debatte für pornographisch.
1. July 2012 at 00:44
Yael
Ich kann nicht nachprüfen, ob der Rambam so etwas gesagt hat, glaube es aber nicht, denn diese Stellungnahme passt nicht zu ihm. Auch passt es nicht zum Judentum, bei dem die sexuelle Befriedigung eine große Rolle spielt, was er angeblich gesagt hat, würde dazu in keiner Weise passen.
1. “Dass die Ablehnung des Asylantrages einer lesbischen Iranerin in der Szene keine Empörungswelle – oder wie man sagen würde – einen Shitstorm entfacht hat, ist der eigentliche Skandal.”
Es ist ein Skandal. Woran denkst du liegt das, dass den meisten das Schicksal einer Iranerin, der die Hinrichtung im Iran droht so wenig emotional berührt: Im Gegensatz zu dieser Diskussion? Ich frage mich schon wo überall der Wahn herkommt sich so massiv über beschnittene Penisse zu echauffieren.
29. June 2012 at 16:29
Yael
“Das Gericht sagt nun aber, dass die Entscheidung dafür, was ein gutes Leben ist, in diesem Fall nicht von den Eltern für das Kind getroffen werden darf…
Gut, auf den ersten Blick mag da viel dran sein. Auf den zweiten Blick ist es aber realitätsfern: Eltern treffen als Erziehungsberechtigte zwangsläufig eine unendliche Fülle von Entscheidungen, die den weiteren Lebensweg des Kindes erheblich prägen. Darunter sind auch auf nicht körperlicher Ebene viele Entscheidungen, die nicht mehr zu revidieren sind. Man muss sich also vor der Vorstellung hüten, es gäbe eine 18-jährige Neutralität in der Erziehung eines Kindes und nach seinem 18. Geburtstag entscheide das erwachsen gewordene Kind über sein Leben völlig freiwillig und unabhängig von dem, was zuvor passiert oder nicht passiert ist.”
http://www.cicero.de/salon/toleranz-gehoert-nicht-zu-deutschland-beschneidungsurteil/49859?seite=1
1. July 2012 at 10:31
Peter
Anders als bei Frauen ist die Beschneidung beim Mann ein geringfügiger Eingriff in die Persönlichkeit.
Ausser natürlich es läuft schief!Die Prozentzahl wo es schiefläuft ist ungefähr bei 1 % aber das dürfte kein Trost für die Betroffenen sein,oder?DAs ganze Leben versaut und weswegen?Ich glaube der Richter konnte nicht anders urteilen.Wir regen uns immer zur Recht auf wenn der deutsche Rechtsstaat den Muslime immer mehr Zugeständnisse macht unter den Deckmantel der REligionsfreiheit und andersrum ist aber auch wieder schlecht?Man regt sich über Frauenbeschneidungen auf aber bei Jungen heisst es kein Problem?Schon alleine um die brutalen Schmerzen zu meiden sollte man das seinen Kind ersparen.Kind ist kein Eigentum und keine Kopie der Eltern sondern ein eigenständiger Mensch und es hat das Recht dass es unversehrt aufwächst und die Argumente die man hier vorbringt wie-ja die Eltern entscheiden ja auch dies und das und sind für die Erziehung verantwortlich sind doch albern.Ich sehe den Zusammenhang nicht zwischen der Wahl der Eltern für,sagen wir mal welche Schule ihr Kind besucht oder wo man wohnt und einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit
Hier etwas über Juden in Israel die sich gegen die Beschneidung entscheiden.Es sieht aus als ob diese Menschen einen großen Druck ausgesetzt sind wenn sie schon von ihren Kinderärzten dumm angemacht werden für das Nichtbeschneiden ihre Kinder
http://www.haaretz.com/weekend/magazine/even-in-israel-more-and-more-parents-choose-not-to-circumcise-their-sons.premium-1.436421
1. July 2012 at 15:27
Yael
Da Sie schon von “brutalen” Schmerzen reden, zeigt mir, dass da wenig Wissen vorliegt. Den Unterschied zwischen Mädchenbeschneidungen und Jungenbeschneidungen kennen sie sicher.
Im Übrigen hat das Urteil für Juden keinen Bestand, da eine Brith Mila so gut wie nie in einem Krankenhaus gemacht wird.
Aber vielleicht möchte jemand, den Tag erleben, bis ein Mohel vor deinem deutschen Gericht steht.
1. July 2012 at 15:36
Yael
Es gibt auch ganz andere Meinungen:
“Nach dem StGB-Standardkommentar des Bundesrichters Thomas Fischer ist es hingegen herrschende Meinung, dass die religiöse Zirkumzision nicht den Straftatbestand der Körperverletzung erfülle.”
1. July 2012 at 21:38
David
Es gibt Selbsthilfegruppen betroffener Männer in den USA, wo sehr viele Kinder beschnitten werden, u.a. die “Jews Against Circumcision” und die “National Organization of Restoring Men”. Da ich meine Vorhaut noch habe, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, daß sie sehr sensibel ist und somit ein durchaus relevanter Aspekt meines sexuellen Empfindens darstellt. Ich gäbe sie nicht freiwillig her. Man sollte allen Menschen diese Entscheidung selbst überlassen.
3. July 2012 at 18:14
Yael
Was will uns das alles sagen?
Es gibt bisher noch keinen einzigen Nachweis, dass Beschneidungen traumatische Folgen haben.
Ich zitiere mal M. Brumlik (heute in der Berliner Zeitung):
“müsste man zwei nach Zufallsprinzip ausgewählte, repräsentative Stichproben vom beschnittenen und und unbeschnittenen Babys bei Kontolle aller anderen Faktoren – wie soziale Schicht, Bindungsqualität, Einkommen und Bildungsstand etc. – im Rahmen einer mindestens zwanzig Jahre laufenden Langzeitstudie psychologisch testen. Derlei Studie lieht nicht vor…”
Abgesehen ob diese überhaupt ethisch vertretbar wäre.
Ich kann seitenweise von beschnittenen Männern berichten, die keinerlei Probleme mit ihrer Beschneidung haben. Das ist aber genauso wenig wissenschaftlich wie diese diversen Seiten oder Behauptungen im Internet.
5. July 2012 at 16:52
Yael
http://www.welt.de/kultur/article107289612/Beschneidungsverbot-verstoesst-gegen-das-Grundgesetz.html
Es gibt im Übrigen schon länger ein Urteil des BVGs, dass das Verbot der Beschneidung gegen das Grundgesetz verstößt:
“Beschneidungsverbot verstößt gegen das Grundgesetz
Das Kölner Urteil zur religiös motivierten Beschneidung verstößt gegen das Verfassungsgebot von der “Freiheit des Glaubens”. So hat es das Bundesverfassungsgericht schon einmal gesehen.
Rechtlich bedeutet diese Art von Freiheit mehr als bloße Toleranz. Welcher Glauben auch immer gemeint ist, die Bundesrepublik fühlte sich bisher verpflichtet, dessen Regeln selbst dann zu schützen, wenn sie das moralische Empfinden eines Teil der Bevölkerung stören.
Der Beitritt zum Bund (auf Hebräisch “Berit Mila”), den die Beschneidung vollzieht, gilt als das wichtigste aller Gebote. Sie darf selbst an den höchsten jüdischen Feiertagen vorgenommen werden.
Die Begründung dafür lässt sich im ersten Buch Mose 17,11 finden: “Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volke, weil er meinen Bund gebrochen hat.” Ähnliches findet sich in den Koranauslegungen. Auch sie werden vom Grundgesetz geschützt. Wäre es nicht so, verlöre die Demokratie einen maßgeblichen Teil ihrer westlichen Überzeugungen.”
23. February 2013 at 10:27
Max Musterpimmel
Ich fühle mich durchaus in meinen “Persönlichkeitsrechten” beschnitten.
Ich hätte meine Vorhaut gerne wieder! Es ist ganz einfach so das mir in meiner Kindheit ohne mein Einverständnis ein Stück von mir abgeschnitten wurde. Einfach so. Ich weiß nicht was das für psychologische Auswirkungen hatte. Aber sicher ist das dadurch mein Zipfel seinen ganz eigenen Zipfel-charackter verlor und zu einem beschnittenen penis wurde.
Auch weiß ich nicht wo dieses Stück von mir hingekommen ist. Einfach weg bis einem 20 jahre später auffällt das einem was fehlt.
Und ob ich ohne meine Vorhaut, also unvollständig in den Himmel komme weiß ich auch nich. Keine Ahnung.