Ich bin kein Demokrat. Die Legitimation politischer Entscheidungen durch die Mehrheit ist ein bescheidener zivilisatorischer Gewinn. Köpfe zählen ist besser als sie einzuschlagen. Immerhin. Aber das war es dann schon. Wenn aber diejenigen, die die repräsentative Demokratie als Machtlegitimation befürworten, die Mehrheit verlieren, sollten sie die Konsequenzen ziehen.
Es gibt wichtigeres als Schleswig-Holstein. Dessen größte historisches Ereignis in den vergangenen Jahren dürfte gewesen sein, dass Broder und Machmut der Meinung waren, man könnte das Land doch den Juden im Tausch gegen Israel anbieten.
Die Frage, inwieweit französische und griechische Wähler mittlerweile die Entscheidungen des deutschen Souveräns in Frage stellen, erscheint mir da eigentlich bedeutender.
Trotzdem bestätigt das Wahlergebnis einen Trend. ALLE etablierten Parteien von rechts bis links haben zusammen keine Mehrheit mehr. Damit ist die repräsentative Demokratie deligitimiert. Und die politischen Talk-Shows sind längst ein Ausdruck der Symbiose des Parteienstaats. Journalisten, die in einer freien Gesellschaft um ihre Jobs fürchten müssen, befragen ratlose Politiker, die sie in den Rundfunk- und Fernsehräten kontrollieren. Und die beschäftigen sich vorzugsweise mit sich selbst, statt mit der Frage, warum immer mehr Menschen sie nicht wählen.
Dabei kommt den Deutschen das Phänomen der Piraten gut zu pass. Anders als die FPÖ oder die Linke vereinen die nämlich die Political Correctness mit dem Populismus. Und das macht den Protest gesellschaftsfähig.
Addiert man deren Wahlergebnis mit dem größten Reservoir, den Nichtwählern, ergibt sich wieder mal fast eine absolute Mehrheit, während selbst eine “große Koalition” kaum die reale Dreißig-Prozent Hürde überspringen würde.
Dieses Phänomen wird von den Neunmalklugen, Wahlforschern und Demoskopen schlicht ignoriert. Und die Talk-Show-Moderatoren und Korrespondenten stellen die Gretchenfrage nicht: Warum die repräsentative Demokratie ihre Legitimation verloren hat. Die Mehrheit ist längst gegen sie und glaubt nicht, dass sie die realen Probleme lösen kann.
Wie immer haben wir die Wahl zwischen Evolution oder Revolution. Zwischen Wandel und Zusammenbruch. Im schlimmsten Fall zwischen Explosion und Implosion.
Die Lösung findet sich wohl in einer Kombination aus mehr direkter Demokratie und einer strikten Durchsetzung von Subsidarität. Dann stellt sich die Freiheit von selbst ein.
16 comments
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8. May 2012 at 11:08
FDominicus
Solange die nicht mehr legitimierten dennoch alles Gesetze beschliessen können wird sich nichts ändern. Und solang man mit poltisichem Druck Geld von den Zenralbanken bekommen kann wird das Betrugsystem weiter gehen. Direkte Demokratie wäre defiinitv hilfreich (was ja die Schweizer beweisen) aber bevor das passiert werden noch sämtlich Folter und Mordwerkzeuge der Linken oder Rechten in Stellung gebracht werden. Im Augenblick sieht es so aus als ob die Linke Seite die “Führung” bekommt. Und die wird schon zeigen was Sie von Eigentum hält. Nämlich 0, nichts….
8. May 2012 at 11:49
Simon
Ist das nicht ein Widerspruch wenn du von dir behauptest du seist kein Demokrat aber dich dann für die direkte Demokratie als radikalste Form aussprichst?
Bei der direkten Demokratie bin ich etwas skeptisch, sicher in der Schweiz scheint sie zu funktionieren, aber wie sich das in Deutschland auswirken würde?
Als Alternative schlage ich eine stärkere Regelbindung der Politik vor.
8. May 2012 at 12:14
Pardus
ich bin mir gerade auch nicht sicher, wie der sprung von demokratieskepsis zu direkter demokratie kommt.
8. May 2012 at 16:09
euckenserbe
Ein freiheitlicher Rechtsstaat braucht wenig staatliche Intervention, weil er mit negativen Regeln deFacto automatisch funktioniert. Das Subsidaritätsprinzip führt systematisch zu politischen Entscheidungen in der kleinsten denkbaren Einheit.
Die direkte Demokratie ist der repräsentativen überlegen. Sie verhindert die Stimmenmaximierung durch Addition von Interessengruppen und reduziert die Staatsausgaben. Das zeigt das Beispiel Schweiz deutlich.
8. May 2012 at 12:09
Adrian
Ich schlage eine Entdemokratisierung bei gleichzeitiger Liberalisierung vor.
8. May 2012 at 15:53
Paul
Adrian? Häää?
Erklär mir das. Ich bin zu doof um das zu verstehen!
9. May 2012 at 11:52
Adrian
Was ist denn daarn so schwer zu verstehen? Mehrheitsentscheidungen nur dort, wo es unbedingt nötig ist, der Rest liegt im Ermessen des einzelnen Menschen.
8. May 2012 at 16:01
Paul
eukenserbe, Deine Zurechnung der Nichtwähler zu den Piraten scheint mir doch sehr willkürlich und ungerechtfertigt zu sein.
Ich schlage sie der FDP zu. Was sagst Du da?
Im Ernst, so kommen wir nicht weiter!
Und was machst Du, wenn in Deiner direkten Demokratie Wahlen angesetzt werden und “keiner geht hin”?
Wie soll sich dann die Subsidiarität verwirklichen lassen?
Wie soll sich die Freiheit dann von selbst einstellen?
Mein Vorschlag:
Einführung des Mehrheitswahlrechts verbunden mit einer Wahlpflicht.
Das ist wahre Demokratie.
Wie hoch ist eigentlich der Prozentsatz der Nichtwähler in der Schweiz?
Habe jetzt keine Zeit. Werde mich nachher darum kümmern, wenn es nich schon jemand anderes gemacht hat.
8. May 2012 at 16:15
euckenserbe
1. Ich habe die Nichtwähler nicht den Piraten zugeschlagen sondern die Wahlberechtigten addiert, die keine der konventionellen Parteien gewählt haben. Das ist ein kleiner Unterschied.
2. Wenn bei einer Volksabstimmung ein Quorum nicht erreicht wird, bleibt alles wie es ist. Der freiheitliche Rechtsstaat hat ohnehin keinen großen Regelungsbedarf.
3. Subsidarität sollten Sie mal googlen. Dabei geht es um die Verlagerung politischer Entscheidungen auf die kleinstmögliche staatliche Ebene. Und dadurch entsteht Vielfalt und Wettbewerb.
4. Die Wahlbeteiligung in der Schweiz bei Volksabstimmungen ist unterschiedlich und richtet sich wohl nach dem Sujet.
8. May 2012 at 18:21
Simon
Ich bleibe weiter skeptisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Industriestaat komplett ohne Berufspolitiker oder repräsentative Elemente funktionieren kann. Selten lassen sich institutionelle Systeme 1 zu 1 übertragen.
Zur Schweiz diese hat als eine der letzten westlichen Staaten das Frauenwahlrecht eingeführt. Die direkte Demokratie kann somit auch reaktionäre Ansichten fördern.
Zur Subsidirität gebe ich dir Recht. Man sollte allerdings bedenken. dass oft in kleinen Einheiten eine sehr starke Kungelwirtschaft herrscht auch weil die Kontrolle durch unabhängige Medien fehlt (Stichwort Einzeitungskreise).
8. May 2012 at 19:06
euckenserbe
Nun sollte man nicht plump das Schweizer Modell übernehmen sondern sich vielleicht auch Ansätze wie die Liquid Democracy der Piraten mal anschauen und die digitale Demokratie einführen.
Die Mehrheit unserer Repräsentanten sind leider nicht besonders qualifiziert, nicht unabhängig und wie Otto Graf Lambsdorff seligen Angedenkens sagte: Das Parlament ist mal voller und mal leerer aber es ist immer voller Lehrer.
9. May 2012 at 17:51
Rudolf Stein
“Ich bleibe weiter skeptisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Industriestaat komplett ohne Berufspolitiker oder repräsentative Elemente funktionieren kann.”
Ich schon. Voraussetzung: alle politischen Parteien werden aufgelöst. Regierungs- und Verwaltungsfunktionen werden ausschließlich (!) von entsprechenden Fachleuten besetzt. Wahlen werden so zu Bewerbungen für ausgeschriebene Stellen. Für alle diese Stellen gelten die Regeln der freien Wirtschaft, einschließlich der außerordentlichen Kündigung.
8. May 2012 at 23:36
Paul
@euckenserbe
Zu 1.
Was habe ich falsch verstanden wenn Sie schreiben:
“Addiert man deren Wahlergebnis mit dem größten Reservoir, den Nichtwählern, ergibt sich wieder mal fast eine absolute Mehrheit,”
Aus Ihrem Text lese ich heraus, dass Sie mit “deren” ‘die Piraten’ meinen, denen sie die Nichtwähler zurechnen.
Zu 2.
An welches Quorum denken Sie?
Ich schlage 100% vor, sonst wird das nichts.
Zu3.
Mit Subsidiarität habe ich kein Problem. Bin ein großer Anhänger dieses Prinzips, wie Sie aus meinen Anmerkungen zu Nell Breuning unschwer entnehmen konnten.
Aber Subsidiarität entsteht nicht von alleine, sondern nur durch staatliches Handeln.
P.S.
Eine Ergänzung zu 1.
Sie schreiben:
“…während selbst eine “große Koalition” kaum die reale Dreißig-Prozent Hürde überspringen würde.”
Wenn man das “Reservoir” der “Nichtwähler” hinzurechnen würde, wie Sie es bei den Piraten tun, würde es schon reichen. 😀
9. May 2012 at 00:04
Paul
Noch eine Ergänzung zur Wahlbeteiligung in der Schweiz.
Nationalratswahlen:
1971 56,9%
2011 48,5% (!)
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/17/02/blank/key/national_rat/wahlbeteiligung.html
Bei Wahlen und Sachthemen liegt die Wahlbeteiligung in der Schweiz bei unter 40%!
http://www.xing.com/net/strukturwandel/archiv-unsere-gesellschaft-130193/wahlbeteiligung-unter-40-in-der-direkten-demokratie-woran-liegt-das-36288229/
Wer kann mir Gründe nennen, warum es in Deutschland anders sein sollte?
Sie meinen:
“Die Lösung findet sich wohl in einer Kombination aus mehr direkter Demokratie und einer strikten Durchsetzung von Subsidarität. Dann stellt sich die Freiheit von selbst ein.”
euckenserbe, “aus der Traum”, würde Hausmeister Krause sagen.
Unter diesen Umständen wird es wohl nichts mit der sich selbst einstellenden Freiheit.
Sie meinen, die repräsentative Demokratie habe ihre Legitimation verloren.
Für die direkte Demokratie in der Schweiz gilt das auch.
Mein Ausweg:
Mehrheitswahlrecht mit Wahlzwang.
Damit lässt sich Subsidiarität einführen und ein großes Maß an Freiheit wäre auch gewährleistet.
9. May 2012 at 13:00
FDominicus
Ich denke alleien die Möglichkeit, daß di Schweizer über fast jedes Thema abstimmen können (wenn es Sie denn genügend interessiert) macht den Unterschied. Für fast alles können die Schweizer Ihren Politikern auf die Finger klopfen. Wenn man das weiß warum sollte man dann immer zu Wahl gehen?
9. May 2012 at 00:36
Paul
“sondern sich vielleicht auch Ansätze wie die Liquid Democracy der Piraten mal anschauen und die digitale Demokratie einführen.”
Habe ich getan:
http://wiki.piratenpartei.de/Liquid_Democracy
Es gibt auch noch andere Darstellungen. Kann sich jeder selbst ergooglen.
Abgesehen von den Schwierigkeiten der technischen Umsetzung und der Mißbrauchsverhinderung und den damit einhergehenden Kosten für jede Abstimmung, fasziniert mich diese Art der Demokratie wirklich.
Nur auf diesem Wege bekommt man qualifizierte Mehrheiten für:
– die Einführung der Todesstrafe;
– die bedingungslose Abschiebung sozialschmarozender und/oder krimmineller Ausländer;
– die Verhinderung der Einwanderung unqualifizierter und integrationsunwilliger Ausländer;
– Fortführung der Atomkraftwerke;
und, und, und.
Werde ab sofort die Piraten wählen.
Aber sicherlich machen sie es ebenso wie die anderen Parteien. Wenn sie dann “Drin” sind, kümmert sie “Ihr Geschwätz von gestern” auch nichts mehr?
Trotzdem: Sehr faszinierend!