Die Causa Wulff ist symptomatisch für den Zustand nicht nur der Republik. Da ist zunächst einmal die Person: ein in die Jahre gekommener Lieblingsschwiegersohn, bekennend katholisch und geschieden. Ansonsten erreicht die Stromlinienform des Charakters Profillosigkeit. Kein Programm, keine Vision sondern die Panik vor dem Machtverlust und dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit des Klinkerbaus am Rand eines niedersächsischen Straßendorfs gepaart mit dem Realitätsverlust, der von einem Leben hinter Panzerglas erzeugt wird, das Wissen, Erfahrung und Erleben nur noch gefiltert möglich macht. Wulff ist keine Ausnahme sondern die Regel des rückratlosen politischen Repräsentanten, bedrängt von einer Presse, in der es ebenfalls an Journalisten mangelt, die Charakter, Profil, Unabhängigkeit und Maßstäbe missen lassen.
Bei einem Gegenkandidaten Joachim Gauck hätte der Mann sich nie wählen lassen dürfen. Der Republik hätte er seinerzeit den größten Dienst erwiesen, wenn er aus Respekt vor der Lebensleistung und Integrität des anderen verzichtet hätte. Seine Chance hätte er auch ein oder zwei Legislaturen später suchen können. So hätte Wulff den Charakter gezeigt, der ihm offensichtlich abgeht.
Die Angelegenheit um den Kredit hat Wulff zu einer Affäre gemacht. Ihr trübseliger Gegenstand, ein spießiges Einfamilienhaus in der ostniedersächsischem Pampa und die Frage, ob er für einen Kredit ein paar Tausend Euro mehr oder weniger gezahlt hat, ist eine wirkliche Petitesse. Den unsäglichen moralingesäuerten Seierern, die sein “unmoralisches Verhalten” jetzt verurteilen, hätte der Mann den Weg ins Fernsehstudio abgeschnitten, wenn er statt bei der Blöd-Zeitung anzurufen, am 12. Dezember eine Pressekonferenz gegeben hätte, mit der er die Recherchelust der in der Sauren-Gurken-Weihnachtszeit gefangenen investigativen Truppen erschlagen hätte.
Es wäre nicht einmal eine Entschuldigung fällig gewesen. Dass ein Schrott- und Juwelenhändler oder meinetwegen seine Frau, einen Vorteil daraus generiert, dass er einem amtierenden Ministerpäsidenten einen Kredit gibt, bei dem der Gläubiger mehr Geld kriegt wie von der Bank, ist lächerlich.
Wie dargelegt, ist Wulff allenfalls vorzuwerfen, dass er Porsche fast in die Pleite gerissen hat, um seine Macht bei VW zu behalten. Die “Rettung” erfolgte nicht, um der staatlichen Landesbank einen Gefallen zu tun, sondern weil eine Porsche-Pleite nicht nur für den VW-Aufsichstratschef und Porsche-Eigner Ferdinand Piech einen Vermögensverlust bedeutet hätte. Porsche ist schlicht ein Asset.
Warum darf ein knapp fünfzigjähriger Berufspolitiker mit sechzig Stunden Woche und ohne Lebenserfahrung nicht Rat und Hilfe von einem väterlichen Freund in Anspruch nehmen, den er seit langem kennt.
Skandalisiert hat Wulff die Sache durch sein eigenes Verhalten und seinen offensichtlichen Realitätsverlust. Erst gibt er Bild eine Stellungnahme, in der genau das hätte stehen können. Dann zieht er sie wieder zurück und weckt den Anschein der Anrüchigkeit. Dass er Dreck am Stecken haben muss, glaubt jeder Boulevard-Rechercheur, nachdem er durch einen empörten Anruf bei seinem gefühlten Medienpartner seine Panik zu erkennen gibt, für die es keinen Anlass gibt.
Aber auch darin ist Wulff ein typischer Vertreter der politischen Klasse in der repräsentativen Demokratie, die sich von vermeintlichen Bankenpleiten und realen Staatsbankrotts in den Rechtsbruch und die Prinzipienlosigkeit treiben lässt, die letztendlich zu den Ereignissen führen wird, die sie in ihrer unbedarften Unwissenheit eigentlich verhindern wollte. Da war die ehemalige Staatsbedienstete und Karierre-Beamte Horst Köhler übrigens nicht viel besser. Der letzte Präsident, dem man eine so weit gehende geistige Unabhängigkeit hätte zutrauen können, hieß wohl Roman Herzog.
Wulff hat natürlich noch den Fehler gemacht, der Bild-Zeitung die vermeintliche Machtfrage zu stellen. Damit hat er sich mit einem Kai Dieckmann gemein gemacht (vor dessen Professionalität ich allerdings einigen Respekt halte) und – was noch viel schlimmer wiegt – Wulff hat das Amt des Bundespräsidenten zur Disposition gestellt, statt den gebührenden Abstand zwischen Bellevue und Boulevard durch vornehme Schweigsamkeit nach einer umfassenden Richtigstellung zu glänzen.
Ich finde nicht, dass Wulff zurücktreten sollte. Ein Präsident Gauck hätte die Illusion geweckt, dass wir eine politische Klasse haben, die uns würdig repräsentiert.
1 comment
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3. January 2012 at 14:52
Andreas Moser
Horst Köhler wäre in den letzten Wochen jeden einzelnen Tag zurückgetreten.