Das Interview des ehemaligen Außenministers im Spiegel ist eine echte Unverschämtheit und an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Da sagt Fischer zum Beispiel:
“Er [Westerwelle] sprach davon, dass neue Machtzentren neue strategische Partnerschaften notwendig machen würden. Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das soll ja wohl heißen, dass Deutschland wieder eine eigenständige Weltpolitik machen will – mit den neuen Machtzentren China, Russland, Brasilien, Indien, an deren Seite wir im Sicherheitsrat abgestimmt haben. Ich fasse es nicht. […] Wir sind zu groß, um uns auf eine Rolle wie die der Schweiz zurückzuziehen; wir sind zu klein, um Weltmacht zu spielen. An unserer Verankerung als Teil des Westens festzuhalten sollte unser höchstes Interesse sein. […] Gaddafi drohte in Bengasi mit einem Blutbad, es gab eine unmittelbare Gefahr für die Zivilbevölkerung.”
Ja, da sitzt er nun, der Riesenstaatsmann Fischer und doziert darüber, wie sich eine Regierung gegenüber einem brutalen Diktator zu verhalten hat und im Prinzip hat er mit dem zitierten Teil seiner Kritik sogar Recht. Aber was war denn mit dem Massenmörder Saddam Hussein und seinen Taten? Wo war der große Außenminister, als es darum ging, diesen Verbrecher zur Strecke zu bringen, einen Mann, in dessen Regierungszeit mindestens eine halbe Million Menschen vergast, erschossen oder auf andere Arten ermordet wurden? Wo war Fischer, als es darum ging, die unterirdischen Gefängnisse unter Bagdad zu befreien und den Irak von Saddam und seinen sadistischen Söhnen zu befreien? Wo war Fischer, als Millionen von Irakern unter Lebensgefahr wählen gingen? Da hat er mit dem unsäglichen Präsidenten Chirac und den Vertretern jener “neuen Machtzentren” gekuschelt und sich als Friedenstaube aufgespielt. Da wurde der “deutsche Weg” Schröders zelebriert und Deutschland der Öffentlichkeit als “Friedensmacht” verkauft, die sich konsequent jedem Vorgehen gegen den Schlächter von Bagdad verweigert hat.
Schön, dass Fischer scheinbar etwas gelernt hat, aber die Art und Weise, wie er sich nun auf Kosten des völlig unfähigen Außenministers Westerwelle als Experte für moralische Bewertung von Diktatoren hinstellt, das ist einfach nur peinlich.
12 comments
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29. August 2011 at 21:35
Karsten
Die Kritik greift nicht, weil hier ein unzutreffender Vergleich zwischen Libyen und dem Irak gezogen wird.
In Libyen gab es einen Volksaufstand gegen den Diktator, den das Regime zu ersticken versuchte. Es drohte ganz konkret ein Massaker von vielleicht völkermordartigem Ausmaß. Die Rebellen haben konkret nach militärischem Beistand gerufen, unter der Vorgabe, am Boden ohne ausländische Truppen die Hauptarbeit zu leisten.
Ganz anders die Lage im Irak 2002/2003. Es herrschte Friedrufsruhe, mit Ausnahme der ohnehin nicht von Saddam kontrollierten Kurdengebiete war das ganze Land unter Kontrolle des Regimes. Es gab keinen Volksaufstand, ja noch nicht einmal in Ansätzen eine organisierte Opposition oder irgendjemanden, der sich selbst im Ausland als charismatische Figur hätte stilisieren können. Entgegen den wirren Demokratisierungsphantasien einiger Neocons ging es höchstoffiziell auch nicht darum, ein Volk von seinem Diktator zu befreien, sondern dessen vermeintliche Massenvernichtungswaffen zu zerstören.
Ich erwarte von einer deutschen Regierung, dass sie sich an konkreten Zielen orientiert. Wenn keine Erkenntnisse über Massenvernichtungswaffen vorliegen (die haben die Amerikaner ja auch nur vorbei an den eigenen Sicherheitsdiensten fingiert) und wenn kein Massaker an der Zivilbevölkerung unmittelbar zu vermeiden steht, dann kann man auch kein Land angreifen. Auch die Demokratisierungsdoktrin ist blödsinnig. Irak ist auch heute keine Demokratie. Dafür gab es dort einen Bürgerkrieg mit Millionen Flüchtlingen (um die sich keine westliche Regierung schert) und hunderttausenden Toten. Nach selbiger Logik hätte man auch Saudi Arabien, Iran, Sudan, oder warum nicht China bombardieren können – schliesslich sitzen da überall ebenso menschenverachtende Regime. Saddam hätte man ohne weiteres stürzen können – 1991. Sogar mit deutschem Geld. Dass die USA das damals verpasst haben, ist traurig. Aber eine gute Alternative ist 2003 nicht gewesen. Wenn man den Arabern im März erklärt hätte, wir wollen euch in Libyen ähnlich wie im Irak beglücken, dann hätte sie die Hände über’m Kopf zusammengeschlagen.
Libyen 2011 ist nicht Irak 2003 – und wird übrigens, wenn denn erfolgreich, seinen ganzen Erfolg daraus ziehen, eben nicht Iraks Entwicklungsweg zu nehmen. Die wichtigste Voraussetzung war, insbesondere für die Würde dieser Menschen: sie haben sich selbst befreit, der Westen hat assistiert, aber er hat nichts aufoktroyiert.
30. August 2011 at 14:42
RichardT
Wenn ich Sie richtig verstehe hat sich “Der Westen” also rauszuhalten wenn ein Regime sein Volk soweit unterdrückt hat, daß dort Ruhe herrscht.
Wir können also ruhig mit Nordkorea, China und welch Diktatur auch immer zusammenarbeiten und müssen nix tun, es herrscht ja Ruhe.
und Demokratie auch für andere zu wünschen ist blödsinnig. Sind ja selber schuld wenn sie sich unterdrücken lassen. hauptsache WIR sind Pazifisten und halten uns an die Regeln.
Die im Kerker hätten halt entweder das Maul halten sollen oder einen richtigen Aufstand organisieren müssen.
Dann hätten sie auch die Unterstützung von Karsten.
30. August 2011 at 15:00
euckenserbe
Das ist wohl falsch verstanden. Ich hätte eine deutsche Beteiligung am Irak-Krieg befürwortet! Der war strategisch richtig aber taktisch falsch. Die gute alte Powell-Doktrin lässt grüssen.
Wie in Afghanistan hat man den Fehler gemacht, vom höchsten Minarett der Hauptstadt das ganze Land kontrollieren zu wollen und so ein Machtvakuum entstehen lassen, in dem sich der Widerstand erst wieder neu aufstellen konnte.
30. August 2011 at 16:39
Jaquento
Der springende Punkt ist, das das Streben nach Freiheit aus dem Volk selbst kommen muss, sonst ist jeder versuch der Demokartisierung zum scheitern verurteilt und Ausländer mit Waffen werden von Befreiern ganz schnell zu Besatzern. Dann passiert was im Irak passiert ist, eine Demokratie ohne Demokraten, Bürgerkrieg, und die Invasionsmächte dazwischen.
Gewonnen hat dabei niemand und allen geht es schlechter als vorher. Legt man maßstäbe wie z.B. des Utilitarismus an, wäre im Fall des Irak, nichts und warten auf bessere Zeiten die bessere Lösung gewesen.
Und ich stimme Karsten zu, Lybien ist nicht Irak und die Situation dort ist bzw. war ähnlicher dem Balkan in den 90ern. Richtigerweise hat Obama daher daher sich an Clintons Politik orientiert und nicht die Fehler der Bush-Ära wiederhohlt.
30. August 2011 at 18:29
RichardT
Um es mal kurz in Erinnerung zu rufen. In Nordkorea ist, nach allem was man weiß, die Unterdrückung sehr weitgehend. Wer aufmuckt kommt ins KZ und, dank kommunistischer Ideologie, bekommt die Familie auch ihr Fett weg. Es hat also eine Demokratiebewegung so gut wie keine Chance.
Nach der Logik von Karsten und Jaquento hat sich die übrige Welt aber rauszuhalten. Die Demokratiebewegung muß ja von innen kommen.
Seien wir mal froh, daß die Amerikaner in den 40ern des letzten Jahrhunderts anders gedacht haben.
Beantwortet mir doch bitte eine Frage: Für wen gelten die Menschenrechte und wieviel seid Ihr persönlich bereit für die Freiheit und körperliche Unversertheit anderer zu opfern?
Kommt mir jetzt nicht damit, was im Irak alles schiefgelaufen ist. Weiß ich auch. Aber die Lösung kann doch nicht sein, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen : Sollen die erstmal selber was auf die Reihe kriegen und dann helfen wir auch.
Klar, wer nichts tut macht nichts falsch!
Schöne Freiheitsfreunde seid Ihr! Könnt gut mit Diktaturen leben. Solltet Ihr Euch nicht besser zur Linkspartei gesellen, die kuscheln auch gern mit Diktatoren?
30. August 2011 at 21:06
christianhannover
also muss der massenmord nur im stillen vor sich gehen? na dann.
1. September 2011 at 21:33
Alreech
Nach selbiger Logik hätte man auch Saudi Arabien, Iran, Sudan, oder warum nicht China bombardieren können – schliesslich sitzen da überall ebenso menschenverachtende Regime.
Da stimme ich Dir zu, und ich gehe sogar noch weiter:
Wenn die Gelegenheit günstig ist, dann sollten wir Saudi Arabien, Iran, Sudan, oder China bombardieren.
So wie jetzt in Libyen die Gelegenheit günstig gewesen ist um Gaddafi loszuwerden.
So wie 2003 die Gelegenheit günstig gewesen ist um Saddam loszuwerden.
So wie 2002 die Gelegenheit günstig gewesen ist um die Taliban loszuwerden.
Sie wie 1999 die Gelegenheit günstig gewesen ist Milosevic und Karadic loszuwerden
Oh, ich hab auch nichts dagegen das unsere Staaten sich mit Diktaturen arrangieren wenn die Gelegenheit nicht günstig ist.
Aber diese Typen wissen ( und wurden jetzt, 2003, 2002 und 1999 daran erinnert ) das die gleichen Westlichen Politiker die ihnen die Hände schütteln nicht einen Finger rühren werden – oder sogar aktiv mithelfen – wenn es ihnen an den Kragen geht.
Egal ob sie danach vor Gericht oder an einer Straßenlaterne enden.
Da bin ich Jakobiner 😉
4. September 2011 at 17:42
Karsten
Ich bin voll auf Ihrer Seite, was das utilitaristische Argument angeht. Wenn der Diktator wackelt, dann sollte man alle Hebel in Bewegung setzen.
Nur habe ich folgende Probleme: RichardT spricht von der Unterdrückung in Nordkorea. Geschenkt – die hat niemand bestritten. Ich sehe aber nicht ein, dass der Westen für Nordkorea einen Weltkrieg vom Zaune brechen sollte. 2 Milliarden Atomtote ist die Beseitigung dieser Diktatur dann doch nicht wert.
Zweites Problem: Wenn wir eingreifen, und dann auch noch mit Bodentruppen, dann sollten die Bedingungen und die Strategie danach stimmen. Irak 2003 bis heute war ein einziges Desaster. Das Land ist keine Demokratie geworden, sondern ein höchst fragiles Gebilde. Der Bürgerkrieg war mörderisch. Hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge, auch hier kann der Preis für den Sturz des Diktators zu hoch gewesen sein. Die Attitüde des Westens gegenüber diesen Flüchtlingen (bloss keine aufnehmen) ist zudem ein Höchstmass an Heuchelei.
Fazit: Von Fall zu Fall entscheiden und sich primär an der Erfolgswahrscheinlich orientieren, statt sich von hehren Prinzipien das Hirn vernebeln zu lassen.
30. August 2011 at 23:28
Jaquento
Haben die Amis gehandelt, als die Mauer hochgezogen wurde oder während den Aufständen in den 60ern? Nein, die wussten genau das mit einem 3.WK niemanden geholfen wären. Ähnlich in NK.
Wievielen Menschen ist geholfen wenn wir einen Konflikt mit China und eventuell den Einsatz einer Atom- oder zumindest Schmutzigen Bombe riskieren? Pragmatismus und Ideale vertragen sich leider nicht immer miteinander, manchmal aber, wie in Lybien haben wir aber die Möglichkeit zu handeln und eine langfristige Verbesserung der Situation zu erreichen. Falsch wäre es, ist eine solche Chance verstreichen zulassen.
Fischer zu verurteilen, das er und Schröder uns aus militärisch und moralisch falschen Abenteuern herausgehalten hat, finde ich zutiefst abstoßend angesichts “kriegsähnlicher Zustände” die dort nun herrschen.
Die Regierung Schröder hatte viele Fehler, die Außenpolitik war es nicht.
Im Fall NK ist es nur eine Frage der Zeit bis das System kollabiert (hat bei der DDR auch geklappt), selbst China reduziert seit längerem die Unterstützung das Regimes und ich wage aber mal zu behaupten das man aber im Falle eines Falles zum kommunistischen Bruderstaat hält, sodass ein militarisches Eingreifen sich destabilisierend auf die gesammte Region auswirkt.
31. August 2011 at 10:22
RichardT
Daß man keinen 3. Weltkrieg verursacht wegen Nordkorea ist verständlich.
Du drückst Dich aber um die Antwort. Wenn China nicht mehr für Nordkorea garantieren würde, was dann. Ist es in Deinen Augen moralisch abzuwarten bis das System von innen raus kollabiert?
daß man nicht alles umsetzen kann was man für richtig hält ist schon klar.
Aber sich hinzustellen, so wie Du es machst, und zu sagen das Streben nach Freiheit muß von innen raus kommen sonst bringts eh nichts ist zynisch gegenüber den Menschen die in totalitären Staaten leben.
Ich weiß nicht ob ich den Mut besässe mich und meine Familie in Gefahr zu bringen indem ich mich in einem totalitären System gegen die Machthaber auflehne. Ich danke Gott dafür, daß ich es bisher nicht tun musste.
Aber diese Heldentum von anderen zu verlangen als Grundlage für eine eventuelle Hilfe empfinde ich als unverschämt.
Ich würde auch den Irakkrieg nicht so pauschal verurteilen. Erstmal ist dort die Zahl der Anschläge deutlich zurückgegeangen. Ich glaube auch nicht, daß die Masse der Bevölkerung hinter den Bombenlegern steht. In meinen Augen ist das eine kleine sehr radikale Minderheit.
Und was wäre denn die Alternative gewesen? Ein brutaler Diktator der morden und foltern lässt. Aber klar, Hauptsache wir Deutschen sind friedlich. Was scherts uns wenn andere verrecken, wir sind Pazifisten!
Selber vor dem PC in der warmen Stube sitzen, abwarten wie es ausgeht, und dann schlaue Sprüche bringen.
1. September 2011 at 11:49
Jaquento
“Wenn China nicht mehr für Nordkorea garantieren würde, was dann. Ist es in Deinen Augen moralisch abzuwarten bis das System von innen raus kollabiert?”
Dann würde ich jedes eingreifen seitens SK oder den USA begrüßen. Die Menschen hungern dort.
“Ich danke Gott dafür, daß ich es bisher nicht tun musste.”
Der hat damit nichts zutun.
“Erstmal ist dort die Zahl der Anschläge deutlich zurückgegeangen.”
Im Vergleich zu wann?
“Aber sich hinzustellen, so wie Du es machst, und zu sagen das Streben nach Freiheit muß von innen raus kommen sonst bringts eh nichts ist zynisch gegenüber den Menschen die in totalitären Staaten leben.”
Nein realistisch, aufgezwunge Demokratie hat in wievielen Fällen funktioniert?
“Ich würde auch den Irakkrieg nicht so pauschal verurteilen.”
Tu ich auch nicht meine Gründe sind absolut rational.
“Und was wäre denn die Alternative gewesen?”
Der mittlere Osten halbwegst stabil. Bin Laden mindestens 5 Jahre früher gefangen, das USA defizit (das pro kopf schlimmer ist als das der Griechen) nicht ganz so gravierend. Hussein war ein stabilisierender Faktor in der Region, ihn rauszunehmen hat zu Bürgerkrieg und Anarchie geführt, wie ist das besser als vorher? Wie kannst du es vertreten ein Land ohne Exitstratgie oder positive Perspektive in Schut und Asche zu bomben nur weil der Typ an der Macht an Arsch mit Ölvorkommen ist?
“Selber vor dem PC in der warmen Stube sitzen, abwarten wie es ausgeht, und dann schlaue Sprüche bringen.” Selber.
28. September 2011 at 15:38
Andreas Moser
Vergessen wir nie, daß alle von uns nur aus einem einzigen Grund in einer stabilen, sicheren, prosperierenden, freien Demokraie leben: Zufall.
Solange es Menschen gibt, die dieses Glück nicht haben, halte ich es für unsere moralische Verpflichtung zu helfen und Diktaturen zu beseitigen, wann immer wir können. Genauso wie andere uns vor 6 Jahren von unserer Diktatur befreit haben (wohlgemerkt ohne daß es eine vom Volk getragene Rebellion gegen die Nazis gab).