Vor 100 Jahren wurde der Mann geboren, der in Deutschland die soziale Marktwirtschaft abschaffte. Als die erste kleine Rezession eintrat und die Arbeitslosigkeit auf eine halbe Million kurzzeitig anstieg, jagte man Ludwig Erhard in die Wüste und vertraute dem Mann, der Stabilität und Wachstum versprach. Ein Versprechen, dass nie eingehalten wurde. Und das kam so:
Schiller war Finanzminister in der ersten großen Koalition von 1967-69 und der Architekt des Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Das machte aus der Ordnung der sozialen Marktwirtschaft eine Organisation, die vier wirtschaftspolitische Ziele verfolgen sollte: Preisstabilität, eine ausgeglichene Handelsbilanz, einen ausgeglichenen Staatshaushalt, Vollbeschäftigung und Preisstabilität.
Um dieses “magische Viereck” zu erreichen, sollten im wesentlichen zwei Instrumente eingesetzt werden:
1.In einer Rezession sollte der Staat Kredite aufnehmen und so zusätzliche Nachfrage induzieren, die die Rezession bremst. Während einer Aufschwungphase sollte er diesen bremsen, in dem er die aufgenommenen Kredite wieder zurückzahlt und seine Nachfrage reduziert.
2. In der “Konzertierten Aktion” wollte die Regierung mit “moral suasion” Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften beeinflußen, sich gegebenenfalls entgegen der eigenen Interessen zu verhalten, um die Ziele der Gesamtwirtschaft zu erreichen. Drohte etwa eine zu hohe Inflation, so sollten die Gewerkschaften niedrigere Lohnforderungen stellen.
Lediglich ein Ziel wurde je erfüllt: Preisstabilität. Aber dafür sorgte die Deutsche Bundesbank mit dem Konzept der produktivitätsorientierten Geldmengensteuerung: Die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes durfte nie stärker wachsen als die Wirtschaft an sich.
Bei allen anderen Zielen versagte das Gesetz grandios. Bei seiner Einführung gab es deFacto Vollbeschäftigung. Heute haben wir noch mindestens 3 Mio Arbeitslose. Und es waren auch schon mal fast sechs.
Seit Jahrzehnten hat Deutschland einen horrenden Handelsbilanzüberschuss. Und fährt gut damit, weil sonst eine Vielzahl unserer Produktionskapazitäten stillgelegt werden müssten, weil sie niemand mehr braucht. Das Ziel Vollbeschäftigung und das Ziel ausgeglichene Handelsbilanz widersprechen sich also diametral.
Und betrug die Staatsverschuldung Ende der sechziger ein paar Milliarden Mark, ist sie bis heute auf zwei Billionen geklettert. Zwar nimmt der Staat fröhlich Kredite auf, wenn eine Rezession eintritt. Aber er hört eben im Fall des Aufschwungs nicht damit auf. Schudenbremse hin oder her.
Auch die “Moral Suasion” scheiterte am Unwissen der handelnden Personen. Selbst wenn die Bäckerinnung sich trotz gestiegener Ölpreise verpflichtete, sich inflationskonform zu verhalten, wusste der Bäcker Krause an der Ecke deshalb immer noch nicht, um wieviel Prozent er seinen Brötchenpreis erhöhen könnte, um dieses Ziel zu erreichen.
Tatsächlich flog die “Konzertierte Aktion” Mitte der siebziger Jahre auseinander, als klar wurde, dass die Interessengegensätze zu groß waren. Wie Schröders “Bündnis für Arbeit”, das ja nach demselben Prinzip funktionieren sollte.
Übrigens ist das Gesetz, das Planwirtschaft light bedeuten sollte und die Staatswirtschaft hoffähig machte, immer noch in Kraft und müsste nach der Verfassung von der Bundesregierung angewendet werden.
Karl Schiller trat als Super-Minister für Wirtschaft und Finanzen der sozialliberalen Koalition zurück, als die in der Rezession aufgenommenen Schulden während des Aufschwungs nicht zurück geführt werden sollten. Das immerhin ehrt ihn. Trotzdem war er der Mann, der das Konzept der sozialen Marktwirtschaft im Erhardschen Sinne zerstörte. 1994 ist er gestorben.
7 comments
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25. April 2011 at 23:09
Marcus
Aber hat die konzertierte Krisenreaktion von Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern nicht gezeigt, dass konzertiertes Handeln gerade in Krisensituationen erfolgreicher ist, als wenn alle ihren individuellen rationalitäten folgen? In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit gesunken (trotz 5% Minuswachstum), in Amerika hat sie sich verdoppelt. Was lernen wir daraus?
26. April 2011 at 08:54
euckenserbe
Es hat überhaupt keine “konzertierte Krisenreaktion” gegeben, sondern ein sinn- und wirkungsloses Konjunkturpaket, das etwa die Nachfrage nach Autos vorgezogen hat und den Investitionsstau in den Kommunen etwas reduziert hat. Lediglich die Kurzarbeit hat dazu geführt, das bestehende Produktionskapazitäten schneller wieder eingesetzt werden konnten, nachdem die Wirkung von Merkels Krisengerede nachließ, die dieselbe förmlich herbeigeredet hat. Deshalb kam auch nichts so schlimm, wie von unserer ahnungslosen Führungskaste erwartet.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist auf die Hartz-Gesetze der Schröder-Regierung zurück zu führen. In den USA ist die Krise eine Folge fortwährender staatlicher Intervention auf dem Geldmarkt und auf dem Immobilienmarkt. Sie hat nichts mit Egoismus oder Marktwirtschaft zu tun.
27. April 2011 at 00:40
Marcus
Die Schröderreformen haben vorerst nichts damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit infolge der Krise nicht gestiegen ist! Bei 5% Minuswachstum wäre doch logisch davon auszugehen, dass die Arbeitslosenzahlen steigen müssen.
Das Krisenmanagement war eben doch nicht so blöd. Die Kurzarbeiterregelung hast du ja selbst angesprochen. Ein klarer Eingriff in den Markt! Und die Abwrackprämie war allein deshalb nicht ganz sinnlos, weil sie Nachfrage vorgezogen hat, damit Arbeitsplätze gerettet hat – Nachfrage, deren Rückgang jetzt am Ausgang der Krise freilich durch die steigende Auslandsnachfrage mehr als wiederausgeglichen wird.
Alles in allem also ein ziemlich beachtlicher Erfolg deutscher Krisenpolitik – trotz eines Minuswachstum, dass deutlich höher als das in Amerika, Großbritannien oder Frankreich war. Und das bei weniger neuer Staatsverschuldung als in den anderen drei Ländern.
27. April 2011 at 16:16
euckenserbe
In Deutschland hätte es überhaupt keine Krise gegeben, wenn sie nicht von der Politik so massiv herbei geredet worden ist.
1. Ein konzertiertes Zusammenwirken zwischen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften hat es nicht gegeben.
2. Die Abwrackprämie hat nicht einmal den Massenherstellern Opel, Ford und VW genützt, sondern allenfalls rumänischen und koreanischen Herstellern. Stattdessen sind im Folgejahr die Absatzzahlen zusammengebrochen und zahlreiche Händler pleite gegangen.
3. Das Konjunkturpaket hat überhaupt keine Wirkung gezeigt, allenfalls die Preise im Bau hochgetrieben. In der Regel haben die Ausschreibungsverfahren dazu geführt, dass die entsprechenden Massnahmen erst 2010 eingeleitet wurden.
4. Krisenmanagement 6.
Tatsächlich hätte es die Krise ohne staatliche Intervention gar nicht gegeben. Denn sie wurde durch die expansive amerikanische Geldpolitik verursacht, die im Schillerschen Sinne versuchte, natürliche konjunkturelle Schwankungen durch Ausweitung der Geldmenge “auszugleichen”.
In Deutschland wuchs die Arbeitslosigkeit nicht, weil die Industrie von der Krise kaum betroffen war. Die Kurzarbeit hat hier tatsächlich Produktionskapazitäten erhalten, die nach der Nachfrageschwankung schneller wieder aufgebaut wurden. Tatsächlich ist die aber durch das auch in der “Krise” ungebrochene Wachstum der Schwellenländer induziert aber nicht durch die “Konjunkturpolitik” der Regierung. Die ist wirkungslos verpufft.
28. April 2011 at 20:02
Marcus
o. Du meinst, -5% Wachstum seien allein das Resultat der Reden der Regierenden gewesen? Ist das nicht ein bisschen zuviel Wirtschaftsvoodoo? Warum fiel die Schrumpfung in Deutschland dann härter aus als in Frankreich oder Großbritannien? Wurde da weniger die Rezession herbeigeredet?
1. Was ist die Kurzarbeiterregelung wenn nicht konzertiertes Zusammenwirken? Die wurden den Unternehmen ja nicht aufgenötigt, sondern sie entsprach einem vorher getroffenen Konsens zwischen Gewerkschaftern und Arbeitgebern. Sonst hätte man sie gar nicht implimentieren können, wenn die Gewerkschaften dagegen gestreikt hätten, oder die Unternehmen, frei wie sie sind, einfach die Leute entlassen hätten. Individuell rational wäre letzteres gewesen. Warum soll ich als Unternehmer Arbeitnehmer durchfüttern, die ich nicht brauche? Begebe ich mich nicht in eine wettbewerbstechnisch schlechtere Situation, wenn ich das tue, während meine Konkurrenz fröhlich die Lohnkosten reduziert?
2. Der Erfolg der Abwrackprämie war tatsächlich kleiner als anfangs angenommen. Die Frage ist hier, ob Voodoo-Economics nicht auch einen Einfluss hatte. Die Erwartungshaltung der Automobilhersteller hat ihre unternehmerischen Entscheidungen beeinflusst (es war ja der Verband der Automobilhersteller selbst, der die Abwarckprämie erst ins Spiel brachte) – und nicht wenige glaubten eben an den Erfolg der Prämie.
3. Ich denke, das ist schwierig zu bemessen, weil wir nicht wissen, wie die Situation ausgesehen hätte, wenn es keine Konjunkturpakete in den westlichen Staaten gegeben hätte. Dass verdammt viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt wurde, ist eine Tatsache, und irgendwer wird davon profitiert haben müssen. Steigende Preise in der Baubranche sind ein Zeichen von Baubranchenboom.
4. Widerspruch. Die Politik der FED war ja eben jahrelang nicht antizyklisch (wie sie nach Keynes aus dem Lehrbuch hätte sein sollen). Die Zinsen wurden auch im Boom künstlich niedriggehalten. In Europa orientierte sich die EZB zudem an der deutschen Konjunkturlage und hatte deshalb stets zu niedrige Zinsen für die schneller wachsenden Volkswirtschaften angesetzt. Dass das ein staatlicher Fehler war, stimmt allerdings in jedem Fall. Wobei zu bedenken ist, dass die Zentralbanken nicht unter dem Einfluss der Regierungen standen, insofern also nicht die Wirtschaftspolitik versagt hat.
5. Widerspruch. Die Industrie war sehr wohl betroffen, sonst hätte sie die Kurzarbeiterregelung ja gar nicht so sehr in Anspruch genommen (1,4 Millionen Arbeiter waren betroffen). Auf Seite 9 (http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2010/BIP2009/Pressebroschuere__BIP2009,property=file.pdf) siehst Du, dass es sehr wohl die Industrie war, die fast 80% (!) zur Schrumpfung der Wirtschaftsleistung beitrug. Insofern ist der Satz, die Industrie wäre nicht betroffen, unhaltbar.
24. May 2011 at 13:34
Andreas Moser
Die wirklich freie Marktwirtschaft hat in Deutschland keinen guten Stand, ist vielleicht nicht einmal mehrheitsfaehig. Ich bedauere dies, muss es aber als Demokrat zur Kenntnis nehmen. Karl Schiller allein kann man deshalb nicht verantwortlich machen, denn er handelte im Einklang mit dem was Bevoelkerung und Parlament wollten.
5. August 2013 at 14:38
Zinsen, Inflation und die Verierer: Sparer | Finanzen & Geld zum abwuseln
[…] das sagt schon das magische Viereck der Wirtschaft, dessen Konsequenzen man beispielsweise bei Karl Schiller nachlesen […]