In der Münchner Reithalle herrschte ein Hauch von Sportpalast. Gut gekleidete Grauköpfe ereiferten sich nicht nur, sie geiferten.
Peter Fahrenholz berichtet in der SZ von einer Podiumsdiskussion zwischen Thilo Sarrazin, Gabor Steingart und dem Soziologie-Professor Armin Nassehi, bei der die Kritiker wohl im Gejohle des gutsituierten Publikums untergingen. Das Publikum hat versagt
Sarrazin, der in Fernsehdiskussionen immer etwas linkisch wirkt und zudem ein lausiger Redner ist, der die Neigung hat, ständig das Wörtchen “also” in seine Sätze einzuflechten, wurde jedenfalls durch seine Fans im Saal so euphorisiert, dass er seine beiden Kritiker auf dem Podium einfach nur anpampte, gewürzt mit einer gehörigen Prise Selbstgerechtigkeit. Keinen einzigen Fehler hätten sie ihm nachweisen können (obwohl sie genau das getan hatten), behauptete Sarrazin und attestierte Steingart “krassen Unfug” zu reden, während er Nassehi vorhielt: “Da haben Sie einfach nur Albernes aus dem Feuilleton vorgetragen”.
Wer weiß, dass Sarrazin als Kind schwer gestottert hat, kann den Mann nur dafür bewundern, wie weit er – insbesondere als Redenschreiber – gekommen ist. In jedem Fall erscheint die Beschreibung des Autors kaum so, als dass man ihm eine unvorgenommene, neugierige Haltung vorschreiben könnte. Gott sei dank hat er sich einer Bemerkung über das rechte Auge des Mannes gespart. Der asynchrone Gesichtsausdruck ist einem Krebsleiden geschuldet. Was aber hat die Qualität des Vortrags mit dem Inhalt zu tun.
Mittlerweile ist Sarrazin das “Stuttgart 21” des Bürgertums, das sich auch von der Süddeutschen, die es noch abonniert, nicht mehr verstanden fühlt. Fahrenholz´ Artikel ist der feulletionistische Wasserwerfer, der das Unbehagen, das er ersäufen will, bestärkt.
Ein Bürgertum, dass von der Untätigkeit der bürgerlichen Regierung, die es gewählt hat, damit Ordnung wieder hergestellt wird, ein Steuersystem entsteht, das einsehbar ist und der Sozialstaat endlich reformiert wird, entsetzt ist. Die 14% FDP waren der letzte Versuch.
Es geht hier überhaupt nicht mehr um Sarrazin. Das Thema ist zu Tode diskutiert und beschrieben und ich hatte mir auch vorgenommen, den Mann am besten nicht mal mehr zu ignorieren. Es geht um Fahrenholz und die Süddeutsche und deren Publikumsbeschimpfung. Hätte ich ein SZ-Abo, ich würde es j e t z t kündigen.
Die Debatte hat gezeigt, wie groß die Kluft zwischen Politik und den meisten Medien und den Bürgern ist. Früher gab es die Einheitspartei. Heute soll anscheinend eine Einheitsmeinung hergestellt werden. Das wird nicht klappen. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung kenne ich nur aus der DDR der 80er-Jahre. Das Ergebnis ist bekannt.
Das ist ein Zitat von Vera Lengsfeld aus dem Focus. Die Parallele ist beklemmend.
4 comments
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2. October 2010 at 01:15
uniquolol
„…Ein Bürgertum, dass von der Untätigkeit der bürgerlichen Regierung, die es gewählt hat, damit Ordnung wieder hergestellt wird, ein Steuersystem entsteht, das einsehbar ist und der Sozialstaat endlich reformiert wird, entsetzt ist. Die 14% FDP waren der letzte Versuch…“
Wohl wahr! – Nur was kommt nach dem letzten Versuch, das ist hier die Frage…
15. January 2011 at 01:47
Maxi
Ich sag’s mal so:
Sarrazin ist ein ganz armes Schwein.
Schlimm, wirklich schlimm und bedrohlich ist der Beifall, der ihm von vermeintlich abstiegsbedrohten Kleinbürgern entgegengebracht wird.
Die sind (dann) zu allem fähig – einem neuen ’33, Ruanda oder Jugoslawien.
Die Provinz-Presse (Sachsen ist eine finstere solche) spielt dort tapfer mit.
15. January 2011 at 01:50
Maxi
Ach, noch was:
Wer ist eigentlich Vera Lengsfeld?
Bitte Bitte keine Gespenster-Debatte.
EX-Bürgerrechtler -> ab ins Ex …
Reinhard Schult ist Spitze!
Dann kommt lange nüscht.
15. January 2011 at 14:15
euckenserbe
Wer Vera Lengsfeld oder Thilo Sarrazin oder gar “Reinhard Schult” (wer immer das sein mag) sind, ist auf diesem Blog völlig unerheblich. Wichtig ist nicht der Autor, sondern seine Hypothese. Hier wird selbst noch der Andersdenkende respektiert, solange er noch denkt.