Schon der Name. Im Sommer unerträgliche Schwüle im versmogten Talkessel, der von 12-spurigen Bahngleisen und sechsspurigen Stadtringen zerteilt wird. Rund um das “Schloß” eine “Fußgängerzone zu deren High-Lights neben der obligaten H&M und Starbucks- auch eine New-Yorker-Filiale gehört. Das ist keine Stadt sondern die Ansammlung städtebaulicher Sünden der Sechziger und Siebziger Jahre. Dass sich eine vermutlich militante Minderheit dagegen wehrt, dass durch die Verlegung der Gleise neue Parks und Stadtviertel entstehen, macht den gelegentlichen Besucher der Schwaben-Metropole fassungslos.
Der Strassenkampf für den Kopfbahnhof in dieser rundum zementierten Umgebung ist grotesk. Durch weniger Schienen gewinnt die Innenstadt wohl rund 50% neue Fläche hinzu und erhält damit die Chance, die Verbrechen des letzten Jahrhunderts in diesem wieder gut zu machen.
Wenn ich da mittelalte Muttis auf dem Bahnhofsvorplatz um die Seitenflügel des Bahnhofsgebäudes weinen sehe, verliere ich meinen Glauben an die schwäbische Volksseele.
Auch den Albaufstieg nach Ulm, den ich in seiner Bahn-Version vor zwei Jahren erlebte, halte ich für scharf verbesserungswürdig. Für Fremde ist Stuttgart so schön nicht, als dass man nicht schnell Land gewinnt. Und wenn man nur noch ein paar Minuten statt einer halben Stunde vom Flughafen bis zum Bahnhof braucht, kann ich das nächste mal, wenn ich dort bin, einen Flieger später nehmen.
Mit dem Projekt Stuttgart 21 wollte sich der frühere Bahnchef Heinz Dürr, ein Schöngeist, ein Denkmal setzen. Seit mehr als 20 Jahren geistert das Gespenst durch die Spalten der damals nur gedruckten Presse und durchlief tausendfach Ausschüsse und Parlamente. Gutachten und Expertisen wurden gefertigt und schließlich das ganze begonnen.
Es gab zwanzig Jahre Zeit, dagegen zu demonstrieren, zu klagen oder ein Volksbegehren zu beantragen. Nun ist es zu spät. Und hinterher wird die nächste Generation – so lange wird es wohl brauchen – sich ein Leben ohne Stuttgart 21 vorstellen können.
Kaum zu glauben, dass da ein paar arme Irre für die Häßlichkeit ihres schwülen Biotops kämpfen.
5 comments
Comments feed for this article
27. August 2010 at 16:30
Boris Eichler
Na weil’s jetzt Spaß macht – da simmer dabei, da machet mer mit.
27. August 2010 at 18:33
Marc Schmidt
Ein interessanter Artikel dazu: http://www.german-architects.com/pages/page_item/34_10_s21 Besonders interessant finde ich den Abschnitt mit den künftig nur noch 8 Bahngleisen.
Was die Bausünden in der Innenstadt angeht, stimme ich absolut zu. Aber ob das mit dem neuen Viertel wirklich besser wird? Ich zweifele doch etwas an der derzeit gebauten Architektur…
28. August 2010 at 08:44
euckenserbe
Sorry mate, der Artikel bringt auch nicht viel neues.
1. Die Nummer mit den Acht Gleisen ist völliger Quatsch. Die Berliner Stadtbahn funktionierte bis zum Neubau des Hauptbahnhofes also geschlagene 15,16 Jahre auf vier Gleisen (Bahnhof Zoo). 8 Gleise in einem Durchgangsbahnhof stellen eine wesentlich höhere Kapazität dar wie 16 in einem Kopfbahnhof, wo die Verweilzeiten der Züge und die Blockierung der Gleise deutlich niedriger ist.
2. Der Neubau ändert die gesamte Struktur der Innenstadt unabhängig von der konkreten Bebauung.
3. Der Güterbahn fehlt deutschlandweit ein vernünftiges Konzept und auch international die richtige Strategie. Sie ist zu langsam, zu unflexibel und nicht ausreichend qualitätsorientiert. Sie schaffte noch nicht mal den deutschlandweiten Nachtsprung, als dass jede Hinterhofspedition garantierte (18.00 Uhr ab Kiefersfelden oder Lindau, 07.00 an Flensburg oder umgekehrt). Nur so kann man nämlich in vernünftige Just in Time Produktionskonzepte eingebunden werden. Langsame Güterzüge über Schnellbahntrassen zu schicken ist wie ein Gebot für Lastwagen, nur die Linke Spur der Autobahn zu benutzen. Güterzüge durch Innenstädte zu schippern, ist auch für Anwohner und die viel gepriesene Ökologie kompletter Schwachsinn. Die Güterbahn bräuchte wohl als erstes neue und schnellere Züge, um wettbewerbsfähig zu werden und nicht neue Strecken.
28. August 2010 at 22:30
jackdaw
Stuttgarter Schwaben gehen auf die Straße!
Das alleine ist eine Sensation.
’21’ ist gegessen, zu spät, dürft euch bei den eigenen und anderen Wählern für die “Säckel” und “Halbsäckel” bedanken, die jetzt das durchdrücken.
Aber, die Schwaben sind auf der Straße, das sagt einiges, die anderen sollten aufpassen, die Schwaben sind auf der Straße!!!
Vielleicht auch für ein anderes gutes Thema, will nichts sagen, aber wer weiß es?
29. August 2010 at 16:36
Alreech
Ich bin während Berufsausbildung, Fortbildung und Wehrdienst regelmäßig Bahn gefahren.
Schön ist der Ausblick auf die Industriebrache rechts- und links der Gleise nicht gewesen.
Auch das Stück Park das für Stuttgart 21 weichen soll ist nicht gerade ein Glanzstück der ansonsten schönen Stuttgarter Parks gewesen.
Hier verschwinden nicht etwa ein schöner See oder ein paar Parkbänke die dazu einladen seine Mittagspause im grünen zu Verbringen.
Hier wird die alte Fußgängerunterführung zwischen Klettpassage und Park platt gemacht, ebenso teile des alten Bußbahnhofs und die alten Toiletten, welche AFIK die letzten Jahre geschloßen gewesen sind ( Pech wenn man am Busbahnof mal mußte, da hies es dann entweder ab in die Hecken oder die kostenpflichtigen im Bahnhof nutzen. )
Was an den Protesten gegen Stuttgart 21 nervt ist die Selbstgerechtigkeit der Protestierer. Seit 15 Jahren ist das Projekt in Planung, und erst jetzt gibt es Widerstand dagegen.
Dabei wird versucht das gesunde Volksempfinden (alle Abgeordneten die dafür gestimmt haben sind inkompetent, korrupt oder beides) gegen einen demokratisch legitimierte Prozeß in Stellung zu bringen.
Das bei diesem Widerstand dann auch pauschal die Tätigkeit der Abgeordneten der Parlamente diffamiert wird ist IMHO ein Schaden für alle politischen Parteien in Stuttgart.
Auch SPD und Grüne sollten daran denken, das die selben Mittel die jetzt gegen Stuttgart 21 in Stellung gebracht werden auch gegen Infrastruktur-Großprojekte verwendet werden könnten die auf der Agenda von Rot Grün stehen.