Die repräsentative Demokratie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Als zentrales Koordinationsinstrument steht wie in der Zentralverwaltungswirtschaft der Plan, auch wenn es nur der Haushaltsplan ist, in dem die Regierung im Voraus jede Ausgabe bis hinter das Komma minutiös plant und Einzel- und Untereinzelpläne vom Parlament absegnen lässt. Diese Praxis stammt aus Zeiten der Monarchie, als die Beamten ihren Eid auf den Potentaten sprachen und nicht auf das Volk. Über das Haushaltsrecht konnte das gewählte Parlament deshalb detailliert die Ausgaben von Fürst und Hofstaat kontrollieren, für Schlösser, Mätressen und Kriege. Das war gut so. Doch dort wo Monarchen in der westlichen Welt existieren, haben sie konstitutionell keine Macht sondern sind zum bloßen Repräsentanten ihres Staates geworden. Wo sie – wie vor dreißig Jahren der spanische König – Einfluss nehmen, tun sie dies kraft der eigenen Autorität und der Überzeugung. Als Juan Carlos während eines Putschversuches in Uniform in einer Fernsehansprache die Truppen zurück in die Kasernen schickte, legte er auch sein Schicksal in die Waagschale. Das bleibt die Ausnahme.
Während der Staat sich eines Steuerungsinstruments aus dem Postkutschenzeitalter bedient, funktioniert die Welt um ihn herum in Echtzeit. Alle Prognosemodelle und Planungsinstrumente versuchen durch zunehmende Komplexität diese Geschwindigkeit zu kompensieren und verzetteln sich im Detailismus.
Dabei verlieren sie auch deshalb im Wildwuchs den Durchblick, weil in sechzig Jahren ungestörtem Sozialstaatswucher aus einem komplizierten System kommunizierender Röhren aus Steuern, Gebühren, Abgaben, Beiträgen, Subventionen, Transfers und sonstigen staatlichen Ausgaben ein undurchdringlicher Dschungel geworden ist, dessen Wechselwirkungen sich auch mit einer noch so komplizierten mathematischen Formel nicht abbilden lassen, auch weil derjenige, der ein solches Modell formuliert, nur das sieht, was er auch erwartet.
Um im Bild zu bleiben: Dabei handelt es sich längst nicht mehr um ein geschlossenes System. Die Schnittstellen zur Weltwirtschaft sind vielfältig und reichen nicht nur vom Export bis zum Tourismus. Auch diese Entwicklungen haben sich seit der Erfindung der Kameralistik beschleunigt und sind mit einem Planungshorizont von 23 Monaten nicht in den Griff zu bekommen. Denn die Planung des Haushaltes des Dezember 2011 hat im Januar 2010 begonnen.
Der Realitätssinn der rund 600 Bundestagsabgeordneten, die sich in diesen Tagen zur Haushaltsdebatte im Reichstagsgebäude versammelt haben, grenzt deshalb an den der zentralen Plankommission der DDR. Sie ignorieren weithin, dass die Debatten bereits zum jetzigen Zeitpunkt von den realen Entwicklungen überholt werden. Dass alle großen westlichen Demokratien nach dem gleichen Schema funktionieren, macht die Sache nicht besser.
Der öffentlichen Meinung ist ihre Schläfrigkeit in dieser Frage nicht vorzuwerfen. Der politischen Klasse schon. Denn schließlich ist offensichtlich, dass der Staat trotz der Langsamkeit der Planungsinstrumente auch die langfristigen Probleme nicht in den Griff bekommt. Seit Jahrzehnten gibt er beständig mehr aus als er einnimmt, auch wenn er, wie in den vergangenen Jahren, bis zu 100 Mrd. € höhere Steuereinnahmen erzielt, pro Jahr. Zwischen konsumptiven und investiven Ausgaben ist nicht zu unterscheiden. Und schließlich ist nicht absehbar, wie der moderne Sozialstaat die Herausforderung bewältigen wird, die daraus erwächst, dass die jüngeren immer weniger und die älteren immer mehr und immer älter werden.
Auch vor der französischen Revolution hat sich die keiner vorstellen können. Als Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor Michael Gorbatschow aufforderte, die Mauer nieder zu reißen, dachte niemand, dass das Tor keine 1 1/2 Jahre später sperrangelweit offen stand und der Ostblock erodierte. Der deutsche Reichstag lehnte 1900 den Bau von Autobahnen (von wegen Hitler) ab, weil es im deutschen Reichsgebiet nicht mehr als 5.000 Familien gäbe, die sich einen Chauffeur leisten könnten.
Nichts ist unmöglich, nur weil es unsere derzeitige Vorstellungskraft übersteigt. Nichts undenkbar, nur weil es uns gerade nicht einfällt. Nichts nur deshalb unvorstellbar, weil wir das dafür erforderliche Wissen noch nicht entdeckt haben.
Haushaltsrecht und repräsentative Demokratie sind ein guter, bedeutender Schritt im Rahmen der sozialen Evolution. Aber hoffentlich nicht der letzte.
3 comments
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21. January 2010 at 21:31
Sesalm
“Die repräsentative Demokratie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts.”
Der Liberalismus auch. Gute Ideen überdauern bekanntlich Jahrhunderte. Zumal, wenn sie ideell nicht herausgefordert werden.
“als die Beamten ihren Eid auf den Potentaten sprachen und nicht auf das Volk. ”
Beamte sprechen ihren Eid in der Bundesrepublik bekanntlich nicht auf das Volk, sondern auf das Grundgesetz und die Gesetze des Staates.
“Auch vor der französischen Revolution hat sich die keiner vorstellen können. ”
Die wesentlichen Ideen dieser Revolution wurden nicht erst 1789 formuliert, sondern bereits im ganzen Jahrhundert zuvor. Gleiches gilt auch für 1989. Es gab genug Denker, die sich das Ende der Diktatur vorstellen konnten. Das, was danach kam, war bekanntlich auch nicht wirklich innovativ.
Dein Antidemokratismus allerdings kommt ohne Alternative aus. Wer die repräsentative Demokratie ablehnt, mithin die beste Regierungsform unter allen schlechten, sollte doch in der Lage sein zu formulieren, wie er die inhärenten Missstände dieser zu beheben können glaubt. Wer das nicht tut, reiht sich ein in eine prominente Phalanx an Gegnern, die zumeist wenig hehre Ziele haben. Dies ist nicht fortschrittlich, sondern reaktionär. Der bürgerliche (Rechts-)liberalismus hat in Deutschland bekanntlich eine lange antidemokratische Tradition.
10. February 2010 at 09:36
Donauwelle
Ein bestimmter Antidemokratismus ist durchaus angebracht, da die kritisierte anachronistische Haushaltsführung gezielt zu dem Zweck aufrechterhalten wird selbst dann noch einen autoritären Überwachungsstaat zu finanzieren wenn drumherum keine Rechnung mehr aufgeht. Auch der Kameralismus hat seine Klientelpolitik welche aus psychologischen Gründen dazu neigt dazu sich als Herausgeber des jeweiligen politischen Konsens aufzuspielen. Die Alternative dazu ist dass Parlamentarier tatsächlich ihr Gewissen fragen müssten warum sie lieber einen Menschen verhungern als ein Polizeiauto verschleißen lassen. Falls vorhanden – es gibt schließlich keine Diktatur welche nicht von sich behauptet die beste Regierungsform unter allen schlechten zu sein.
14. September 2010 at 13:44
AMUNO
Hi,
hier mein eigener kleiner Blogbeitrag zur aktuellen Haushaltsdebatte des Bundestages:
Haushaltsdebatte im deutschen Bundestag
Gruß
AMUNO